Die Hexe
Diebin!«
»Besser eine Diebin als eine hinterhältige Kanaille wie du! Nicht gerade die feine Art, wie du mit Leuten umgehst, die dir vertraut haben!«
Kara war sich völlig sicher, dass sie schneller sein würde als dieses freche Weibsstück, das es wagte, gegen sie aufzubegehren. Durch ihre kolossale Erfahrung und magische Meisterschaft fühlte sie sich ihrer Kontrahentin weit überlegen. Allein – es fehlte ihr die Kraft. Dabei hätte es genügt, Larissa ein Fischernetz überzuwerfen, um ihre magische Energie zu blockieren und sie in ein ohnmächtiges Püppchen zu verwandeln. Doch Kara schaffte es nicht. Sie scheiterte an Larissas geballter magischer Energie, die sie ihr auch noch eigenhändig eingeflößt hatte!
Larissa triumphierte: »Diesmal hast du dich verrechnet, alte Fregatte.«
Mit Entsetzen realisierte Kara, dass die junge Magierin sie tatsächlich überrumpelt hatte. Sie konnte nicht fassen, wie es Larissa gelungen war, unbemerkt einen so mächtigen Zauber zu wirken. Doch es gab keinen Zweifel: Über Kara schwappte die gewaltige Energiewelle eines Nawschen Arkans hinweg. Im Unterschied zum Fischernetz hatte das Nawsche Arkan keine blockierende Wirkung, sondern entzog dem Gegner seine magischen Kräfte. Der von Larissa entfesselte mächtige Zauber saugte der erfahrenen Magierin die Energie förmlich aus den Adern. Kara wurde von einer unsichtbaren Kraft niedergerissen und krümmte sich vor Schmerz. Winselnd kroch sie auf Larissa zu und ruinierte sich die gepflegten Fingernägel am harten Zementboden des Labors. Erst als sie völlig entkräftet zu Füßen ihrer Schülerin zu liegen kam, ließ das Nawsche Arkan von ihr ab.
»Kein Grund, vor Angst zu zittern, du erbärmliche Hexe.« Angewidert blickte Larissa auf das Häufchen Elend zu ihren Füßen. »Ich werde mir nicht die Finger an dir schmutzig machen.«
Sie breitete die Arme aus, schloss ihre großen grünen Augen und scannte das Haus.
»Du hast es nicht schlecht versteckt, das Schwarze Buch.«
Karas veilchenblaue Augen füllten sich mit Tränen. Larissa flüsterte eine kurze Zauberformel, streckte die Arme vor und in ihren Händen materialisierte sich das schwere alte Buch mit dem schwarzen Ledereinband. Ohnmächtig verfolgte Kara die Szenerie, und obwohl Angst und Hass an ihr zerrten, erfasste sie in diesem Augenblick ein Anflug von Bewunderung. Nur ein außergewöhnlich mächtiger Magier konnte es vollbringen, das Schwarze Buch mit einem simplen Rufzauber aus dem hermetisch abgeschirmten Versteck zu holen.
»Deine Zeit ist vorbei, Kara«, stellte Larissa mitleidlos fest. »Das Schwarze Buch hat von nun an eine neue Hüterin.«
Artjom behandelte das verriegelte Schloss mit Sprengwurzextrakt , öffnete die Eingangstür einen Spaltbreit und feuerte eine krachende Salve ins Haus. Wohin er schoss, wusste er nicht genau, er hielt es aber für angemessen, Stärke zu demonstrieren.
Doch was nun?
Nach allen Regeln des Genres war der Fortgang der Ereignisse klar: Artjom musste ins Haus eindringen, Larissa suchen, ihr im Kugelhagel eine Liebeserklärung machen, das Schwarze Buch einsacken und ein Held werden. Das Problem war nur, dass mehrere offenkundig feindlich gesinnte Herrschaften den Eingangsbereich mit einem heftigen Maschinengewehrfeuer belegten und Artjoms Heldenträumen schon nach wenigen Schritten ein tragisches Ende bereitet hätten.
Wo bleiben nur meine Freunde? Möge der Schlafende ihnen Alpträume bereiten!
Artjom nestelte am Kragen seiner Jacke, wo ein Mikrofon versteckt war, und neigte den Kopf.
»Cortes, wo seid ihr?«
»Fenster und Türen sind nur mit einer normalen Alarmanlage gesichert«, meldete Jana. »Magische Barrieren – Fehlanzeige.«
»Auf dem Treppenabsatz des ersten Stocks sitzen zwei Typen, die einander erstaunlich ähnlich sehen, und schießen wie verrückt in den Eingangsbereich hinunter«, berichtete Cortes seinerseits, während er vorsichtig durchs Treppenhausfenster spähte. »Wenn ich das richtig sehe, haben sie unseren jungen Kompagnon im Visier.«
Plötzlich rauschte es im Ohrstöpsel des Söldners: »Cortes, wo seid ihr?« Es war Artjoms Stimme.
»Ich beobachte gerade, wie du vor der Tür kauerst und dir die Kugeln um die Ohren fliegen.«
»Du beobachtest nur?«
»Keine Sorge, im kümmere mich gleich um die Kerle mit den Kalaschnikows.«
Cortes aktivierte die Generatoren des Storchs und ließ sich ein Stockwerk höher befördern.
»Mit diesem Kinderspielzeug macht es keinen Spaß.«
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