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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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mittelalterliches Französisch geweckt hatte.
    Als Constantin aufstand und den Becher hob, richteten sich aller Augen auf ihn. »Heute ist der Tag des großen Turniers«, rief der König. Mühelos erfüllte seine Stimme den gesamten Platz. »Am Abend wird der Sieger feststehen und die Schwertleite empfangen. Nun begrüßt mit mir die Maikönigin.«
    Ravenna erhob sich auf sein Zeichen und legte den Mantel ab. In diesem Augenblick durchbrach die Sonne die Dunstschwaden über dem Fluss. Das frühe Licht blitzte auf dem Gürtel und der magischen Schließe. Ein Raunen ging durch die Menge. Ravenna lächelte verkrampft. Sie wandte sich nach allen Seiten, um die Gäste zu begrüßen. Eine huldvolle Geste sah ganz bestimmt anders aus.
    »Gemeinsam mit den sieben Magierinnen vom Odilienberg heißen wir nun die Streiter des heutigen Tages willkommen!«, rief Constantin. Eine Fanfare rief die Ritter auf das Feld. Sie trabten in einer langen Reihe herbei, die Gesichter lagen im Schatten der aufgeklappten Visiere. Obwohl sie die Vorstellung, dass diese Männer gleich gegeneinander kämpfen würden, beängstigend fand, konnte sich Ravenna dem Anblick nicht entziehen. Rösser und Reiter waren mit bunten Farben geschmückt. Wimpel und Banner flatterten über der Schar. Wie es den Regeln des Turniers entsprach, trug keiner der Kämpfer ein Schwert. Nun lösten sich einzelne Reiter aus der Linie, trabten zur Bande und senkten die Lanzen, um ein Band, eine Perlenkette oder einen Ring in Empfang zu nehmen. Auch Elinor löste einen Streifen schwarze Spitze von ihrem Schleier und band ihn dem Marquis ums Handgelenk.
    »Was machen sie denn da?«, erkundigte Ravenna sich aufgeregt. »Warum reiten manche von ihnen zur Bande?«
    »Sie nehmen das Pfand ihrer Liebsten entgegen«, erklärte Mavelle. Seufzend rückte die Elfe sich auf ihrem Platz zurecht. Sie hatte sich ein Polster in den Rücken gestopft, doch so richtig wohl schien ihr nicht zu sein. »Es gilt als Glücksbringer und als Zeichen, dass es jemanden gibt, für den sie kämpfen.«
    Ravenna wurde blass. Das also hatte Lucian am gestrigen Abend gemeint, als er sie bat, ihm Glück zu wünschen! Sie blickte zu dem Reiter auf dem großen Silberschimmel, der regungslos zwischen den anderen Kriegern verharrte. Ghosts Fell schimmerte in der Sonne. Blickte Lucian zu der Tribüne herüber? Oder besann er sich ganz und gar auf den vor ihm liegenden Kampf? Dann fiel ihr Blick auf den Schild, den er am Arm trug, und der Atem stockte ihr. Als Wappen prangte dort die dreifach verschlungene Spirale. Das Triskel.
    »Wieso … wieso trägt er dieses Zeichen?«, stammelte sie. »Wie kann das sein?«
    Die Elfe betrachtete sie neugierig. »Nun, ich habe gehört, dass Lucian dem Waffenschmied zwei Tage lang ins Gewissen geredet hat, damit dieser das Zeichen noch rechtzeitig auf dem Schild anbringt. Soviel ich weiß, hat es ihn eine beträchtliche Summe gekostet.«
    Betroffen starrte Ravenna zu dem Reiter hinunter. Ich würde Euch sogar in Eurer Welt dienen, lautete sein Versprechen. Wodurch hatte sie so viel Zuneigung verdient? Und was hatte sie getan, um ihm zu danken? Sie hatte versucht, ihm auszureden, wonach er sich ein Leben lang gesehnt hatte: diesen Kampf zu gewinnen und einer der Gefährten zu werden.
    Sie sprang auf. »Lucian! Lucian!« Rasch drängte sie sich durch die Menge und rannte an der Bande entlang. »Lucian! Ich will dir auch etwas geben!« In der Faust schwenkte sie das Triskel, das Yvonne ihr geschenkt hatte. Es war die Maigabe ihrer Schwester – welches Geschenk könnte passender sein?
    Unter dem Jubel der Menge drehten die Reiter eine Ehrenrunde. Lucian blickte sie an, als er an ihr vorbeisprengte, aber er konnte nicht aus der Reihe ausscheren und zur Bande reiten – die Gelegenheit war verpasst. Als er mit den anderen Reitern zwischen den Zelten verschwand, merkte Ravenna, dass sie inmitten johlender und pfeifender Handwerksburschen stand. Die Gesichter waren bereits zu dieser frühen Stunde vom Biergenuss gerötet, und einer der fröhlichen Trinker haschte nach dem Schmuckstück in ihrer Hand.
    »Gebt es mir! Ach, kommt schon, gebt es mir, edle Herrin vom Berg!«, schrie er, um das Grölen seiner Freunde zu übertönen. »Dann will ich Euer Ritter sein.«
    »Halt den Mund oder es gibt was auf die Nase!«, fuhr Ravenna ihn an. Der Geselle wurde bleich, als sie derart aus der Rolle fiel. Mit der Würde der Maikönigin war es ohnehin vorbei. Die Leute starrten sie an, als sie den

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