Die Hexen - Roman
Lucians Griff befreien konnte. »Verstehst du denn nicht, Corbeau … Beliar hat mich gezwungen, an dieser schwarzen Messe teilzunehmen. Er hat mir vorgelogen, er wolle ein Experiment durchführen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er ein Dämon ist.«
»Er hat Euch benutzt.«
»Ja, das hat er.« Yvonnes Knie zitterten. Endlich kamen ihr die Worte leichter über die Lippen. »Er hat mich auf dieses Boot gelockt. Ich hatte keine Ahnung, was da abgehen sollte. Er behauptete, diese Leute wären seine Studenten.«
Lucians Gesicht verdüsterte sich. »Das sind sie gewissermaßen auch: Schüler dunkler Hexenkunst. Ihr habt keine Ahnung, wie gefährlich der Marquis ist. Wie viele Personen waren auf dem Schiff?«
»Etwa dreißig.«
Der junge Ritter sog den Atem ein, seine Gesichtsmuskeln waren angespannt. »Und weiter? Was geschah in dieser Nacht?«
Unbehaglich regte Yvonne sich. Im Rücken spürte sie die Kanten des Brückenpfeilers, der Wollstoff von Lucians Mantel kratzte sie am Hals. »Wir gingen an Deck. Kurz darauf kam Beliar in Begleitung einer verhüllten Frau. Ich kannte sie, und ich kann dir sagen, dass Oriana ganz genau wusste, worauf sie sich da eingelassen hat. Sie hat sich dem Teufel freiwillig hingegeben.«
»Als Opfer.«
»Als Opfer«, bestätigte Yvonne. Plötzlich wurde ihr die ganze Bösartigkeit und Scheußlichkeit dieses Abends bewusst. Sie rutschte unter Lucians Arm hindurch, bis sie im Schmutz kauerte, und schlug die Hände vors Gesicht. Aber sie konnte nicht weinen. Und sie konnte auch kein Mitleid mit Oriana empfinden. Wenn jemand eine Schwarzmagierin war, dann diese Frau, die sich wie ein Otter auf dem Deckel der Luke gewälzt hatte.
Mitleidlos zog Lucian sie wieder auf die Füße. Er umklammerte das Schwert, doch die Klinge hielt er endlich von ihr abgewandt. Mit der anderen Hand schüttelte er sie. »Wisst Ihr denn wirklich nicht, was Ihr getan habt? Beliar steht im Begriff, die Fürsten zu sich zu rufen! Habt Ihr Euren Dolch benutzt, wie es der Marquis befahl? War das vielleicht Eure Einweihung in die magischen Künste? Sagt mir, was auf dem Schiff geschehen ist, sonst wird es keinen Frieden zwischen uns geben!«
»Beliar hat meine Hand geführt!«, stieß Yvonne hervor. »Ich sollte Oriana ein Zeichen auf die Stirn ritzen, sagte er. Ein Zeichen, mehr nicht! Mehr habe ich nicht getan!« Ihre Stimme klang schrill wie das Jaulen einer Katze, ein einsamer, verzweifelter Jammerlaut. Sie war sich keineswegs sicher, ob wirklich stimmte, was sie soeben behauptete. Sie erinnerte sich nicht mehr an das Ende des Abends, sie wusste nur noch, dass das Boot irgendwann auf einen Felsen lief und sie ins Wasser gesprungen war. Sie wollte nur fort von der unheimlichen Gesellschaft.
»Was ist mit Orianas Leichnam geschehen?«, forschte Lucian. »Wisst Ihr das? Hat man ihn verbrannt, wie es ratsam ist?«
Stumm schüttelte Yvonne den Kopf. Als Lucian sie losließ, sank sie wieder zu Boden. »Ihr habt dem Teufel das Opfer geweiht. Dadurch seid Ihr genauso schuldig wie er«, erklärte er. Seine Stimme klang hart, als er das Schwert zurück in die Lederscheide stieß. Kopfschüttelnd blickte er auf sie herab. »Das Gesetz des Königs verlangt, dass Ihr mich auf den Odilienberg begleitet und Euch der Gerichtsbarkeit der Sieben stellt. Yvonne von Ottrott, ich nehme Euch hiermit in Gewahrsam.«
Ruckartig hob sie den Kopf. »Machst du Witze? Siehst du nicht, wo wir uns befinden? Und in welcher Zeit?«
Lucian verzog keine Miene. »Nein, ich scherze nicht. Ihr seid meine Gefangene, bis Ihr vor Constantin und den Sieben steht. Sie werden eine angemessene Strafe über Euch verhängen und Morrigan die Gelegenheit geben, Eure Seele zu retten.«
Yvonne stieß einen langen Atemzug aus. Lucians finsteres Gesicht riet ihr, nicht zu widersprechen, ganz gleich wie unsinnig ihre Festnahme war. Sie stand auf und klopfte sich den Schmutz von den Händen. »Na schön, dann bin ich also deine Gefangene. Und was machen wir jetzt? Sollen wir nachsehen, was von Burg Landsberg übrig ist? Oder sollen wir ins Kloster hinauffahren und uns nach den Sieben erkundigen? Weißt du überhaupt, wie es in der heutigen Zeit dort aussieht?«
Reglos starrte Lucian sie an. Auch er musste den Verkehr hören, der über ihren Köpfen über die Brücke donnerte, auch ihm musste das Hausboot auffallen, das gemächlich die Ill hinauftuckerte. Endlich zuckte ein Muskel in seiner Wange. »Vorhin wolltet Ihr mir einen Vorschlag unterbreiten, wohin
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