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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Schicksal überlassen sollen. Sie hatte nicht bedacht, wie leicht er sie in Schwierigkeiten bringen konnte. Doch dann entspannte sie sich, denn die Unannehmlichkeiten, die sie ihm bereiten konnte, waren ungleich größer.
    »Zunächst geht es darum, herauszufinden, wie wir Ravenna aus der Klinik holen können«, sagte sie. »Leicht wird es nicht, das kann ich dir sagen.«
    Lucian musterte sie. »Es wäre leicht gewesen, wenn Ihr diesem Krieger Gress von Anfang an die Wahrheit gesagt hättet. Dann wäre Ravenna gar nicht erst in diese Lage gekommen.«
    Yvonne verschränkte die Finger und stieß einen langen Atemzug hervor. »Nehmen wir einmal an, das hätte ich getan. Der Kommissar hat keine Ahnung von Magie. Ohne stichhaltige Beweise würde er denken, dass ich Ravenna helfen will und deshalb die Schuld auf Corbeau schiebe. Ich könnte mich natürlich auch selbst belasten, nur bringt das den Doktor trotzdem nicht hinter Gitter. Ich verstehe einfach nicht, wieso die Polizei in der Villa nicht den geringsten Hinweis fand. Corbeau – oder Beliar, wie ihr ihn nennt – war auf dem Boot, er hat die ganze Sache eingefädelt. Irgendwo muss er eine Spur hinterlassen haben.«
    »Und die wollt Ihr finden.«
    Yvonne nickte. Ravennas Ritter war schnell von Begriff. Sie schwieg, während ihre Cousine eine Platte mit Weißkohl und dampfenden Würsten auftrug. Denise wirkte mürrisch, als habe sie die trübe Stimmung im Haus angesteckt. Sobald sie wieder alleine waren, sagte Yvonne: »Wir lassen Beliar auffliegen. Niemand in dieser Welt wird begreifen, dass wir einen Dämon zur Strecke gebracht haben, doch man wird zumindest erkennen, dass der Doktor in Wirklichkeit ein Mörder ist.«
    Lucian betrachtete sie nachdenklich. Endlich schüttelte er den Kopf. »Man merkt, dass Ihr Ravennas Schwester seid. Ihr denkt wie eine Hexe«, stellte er fest. Dann stach er die Gabel ins Kraut und begann mit gesundem Hunger zu essen.
    Das Telefon hörte nicht auf zu klingeln. Irgendwann hielt es Yvonne nicht mehr aus. Sie legte die Gabel zur Seite und ging in den Flur hinaus. Es roch nach Kaminfeuer und Bohnerwachs. Ihr Vater hatte den Platz hinter dem Empfang verlassen. Als sie auf den Lichtschalter drückte, flammte die Beleuchtung auf, die den Weg vom Eingang bis zur Gaststube erhellte. Die Strahler waren auf bemalte Milchkannen, Holzrechen und Kupferstiche gerichtet, die an den Wänden hingen. Yvonne schluckte. Ihre Familie hatte das alte Haus liebevoll instandgesetzt. Lucian hat Recht, dachte sie, wir dürfen uns nicht so gehen lassen.
    Entschlossen nahm sie den welken Fliederstrauß aus der Vase auf dem Tresen und warf ihn in den Papierkorb. Dann nahm sie am Empfang Platz. Zerstreut beantwortete sie die Anfragen der Gäste und trug die Reservierungen in das große Auftragsbuch ein. Gleichzeitig rief sie Informationen aus dem Internet ab. In Straßburg gab es drei Reedereien, die Ausflugsfahrten durch den Hafen und auf dem Rhein anboten, doch nur ein Unternehmen besaß weiß gestrichene Schiffe. Wenn sie sich doch nur den Namen des Boots gemerkt hätte, das Beliar für seine schwarze Messe gechartert hatte! Der Reihe nach klickte sie die Bilder an, doch die Boote sahen alle gleich aus. Sie entdeckte keinen Hinweis darauf, dass auf einem der Schiffe etwas Ungewöhnliches vorgefallen war.
    Seufzend druckte sie die Seite mit der Adresse der Reederei aus. Bevor sie das Blatt nahm und in der Mitte faltete, streifte sie ein Paar der weißen Stoffhandschuhe über, die sie in der Handschriftenabteilung der Bibliothek trug. Sie schob das Papier in einen großen, braunen Umschlag, klebte ihn jedoch nicht zu. Dann überlegte sie, was sie als N ächstes tun sollte.
    Es gab eine Sache, die sie vor Lucian verheimlicht hatte, ein Geheimnis, das der alte Hof am Fuß der Vogesen bewahrte. Irgendwo zwischen Weinbergen, Kuhweiden und dem Fluss befand sich ein Ort, der mit Magie aufgeladen war. Ihre Großmutter hatte manchmal Andeutungen gemacht, hatte von geheimnisvollen Lichterscheinungen und Weißen Frauen gesprochen, doch es war immer nur Ravenna gewesen, die Mémé an solchen Tagen begleiten durfte.
    »Du bist noch nicht bereit, du bist zu stürmisch.« Mit diesen Worten hatte die Großmutter ihr den Wunsch abgeschlagen, ebenfalls nach jener Stelle zu suchen, an der die Wirklichkeit so dünn wurde wie Seidenpapier und man die andere Seite sehen konnte, das Reich der Elfen und Geister. »Du willst immer alles auf einmal, Yvonne! Du musst lernen, dich zu

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