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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schloss die Augen, denn sie musste nachdenken. So konnte es nicht weitergehen – ihr Besuch in der Welt der Hexen nahm einen gänzlich enttäuschenden Verlauf.
    »Ihr seid wach.«
    Als sie die Augen wieder aufschlug, stand Lucian vor ihrem Bett. Er hatte die Rüstung ausgezogen und trug sein zerknittertes, verschwitztes Unterzeug. Sein Haar war unordentlich und er wirkte unausgeruht und gequält. Heimgesucht von unsichtbaren Gespenstern.
    Yvonne stemmte sich auf einen Ellenbogen hoch. »Warum legst du dich nicht auch hin und schläfst? Ich habe gehört, der Ritt dauert drei Nächte. Wenn du weiter durch dieses Gasthaus geisterst, fällst du irgendwann vor Erschöpfung aus dem Sattel.«
    Mit den Handballen rieb Lucian sich die Augen. »Ich kann nicht ruhen. Seit wir in Ottrott waren, schlafe ich schlecht. Ich träume von Euch und weiß nicht, warum. Ich sollte von Ravenna träumen.«
    Yvonne lächelte leicht, als sie das hörte. Ihr war bewusst, in welcher Pose sie vor ihm lag: Nach dem nächtlichen Ritt bildeten ihre Locken eine wilde, verstrubbelte Mähne. Der Kragen des Kleids war verrutscht und auf dem weißen, sanft ansteigenden Hügel ihres Busens lag das Medaillon. Wachs, Tarotmagie und Lucians Haarlocke waren zu einem mächtigen Zauber verschmolzen, weitaus einflussreicher, als sie geahnt hatte. Sie hatte Ravennas Ritter vollkommen in der Hand.
    Mit den Fingern strich sie über ihren Ausschnitt. »Schlaf jetzt«, empfahl sie ihm, »und träume, von wem du willst.«
    Lucian unterdrückte ein Gähnen. Er schloss die Augen und sank auf die Knie. Dann neigte er den Kopf nach vorn, als wolle er gleich an Ort und Stelle in den Schlaf sinken. Yvonne ließ die Hand in seinen Nacken gleiten, grub die Finger in das weiche, halblange Haar. Lucian wehrte sich nicht, als sie seinen Kopf zu sich herabzog, bis die Stirn auf ihrer Schulter ruhte. Sie ließ die Lippen über seinen Hals gleiten, schob die Hand unter seinen Kragen und spürte wieder das Verlangen, das sie während der letzten Tage in Ottrott beherrscht hatte, als sie Tür an Tür schliefen, nicht getrennt durch Burgmauern, Kettenhemden und wachsame Hexen.
    In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen. Ravenna wollte eintreten und erstarrte noch auf der Stelle. Ihre Schwester erfasste die Situation sofort. In Ravennas braunen Augen blitzte eine verwundete Erkenntnis auf.
    »Yvonne!«
    Sachte schubste Yvonne den jungen Ritter zurück, so dass er zu sich kam. Lucian blinzelte und rieb sich die Augen wie jemand, der soeben aus einem Traum erwachte. Dann wurde ihm bewusst, welchen Anblick sie beide boten, halb bekleidet, erhitzt und zerzaust, und eine dunkle Röte stieg ihm ins Gesicht.
    »Es ist nicht so, wie Ihr denkt«, rief er, an Ravenna gewandt.
    »Ach ja?«, fauchte diese. »Gib dir keine Mühe. Auf deine Erklärungen kann ich verzichten. Und du …« Sie funkelte Yvonne an und schien doch ihrer Stimme nicht zu trauen. Ihr Kinn zitterte. Wortlos zog sie die Stiefel aus und schleuderte sie unter das Bett. Dann warf sie sich auf die Wolldecke und drehte den Anwesenden den Rücken zu.
    Mavelle trat ein und sah Yvonne und den Ritter missbilligend an. »Ihr seid noch wach? Wir rasten höchstens fünf oder sechs Stunden, dann reiten wir weiter. An eurer Stelle würde ich mich ausruhen.«
    »Lucian konnte nicht schlafen.«
    Der Ritter starrte auf Yvonne hinunter, als sie das sagte. Dann murmelte er einen Fluch, ging zu Ravennas Lager und kniete neben dem Bett nieder. Yvonne hörte das Paar miteinander flüstern. Die Stimmen klangen nicht fröhlich. Sie verstand nicht, worum es bei dem Streit ging, aber sie konnte es sich denken. Sie beobachtete, wie Lucian nach Ravennas Hand tastete und wie ihre Schwester den Arm wegzog. Wütend wickelte Ravenna sich in die Decke, drehte ihrem Liebsten die Schulter zu und starrte die Wand an.
    Lucian stand auf und verließ die Kammer. Viel fehlte nicht und er hätte die Tür hinter sich zugeknallt. Wahrscheinlich hielt ihn nur die Anwesenheit der Elfe von einem solchen Gefühlsausbruch ab. Yvonne rollte auf den Rücken. Sie hatte keine Ahnung, ob er hinunter in den Gastraum ging, um sich mit dem einäugigen Ramon und seinen anderen Freunden zu betrinken. Sie hatte ihn nie betrunken gesehen, nicht einmal als Kommissar Gress im Morgengrauen schwankend und trällernd das Gasthaus in Ottrott verließ.
    Sie nahm das Medaillon in die Hand. Sie konnte Lucian nicht aus dem Bann entlassen, nicht einmal ihrer Schwester zuliebe. Denn

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