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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Lucian dich vielleicht in unsere Zeit begleiten? Ich habe ihn beobachtet, wie er sich in Ottrott verhielt. Er hat sich große Mühe gegeben, alles richtig zu machen, aber um Himmels willen: Er hat keine Ahnung, wie ein Rasierapparat funktioniert. Oder was man mit einer Kreditkarte macht. Er weiß nichts von der Entdeckung Amerikas, von der Französischen Revolution … er kennt nicht einmal den Eiffelturm. Ihn aus dem Mittelalter herauszureißen, wäre so, als würde man einen Rebstock neben die Autobahn verpflanzen. Das kann nicht gutgehen, verstehst du?«
    »Glaubst du etwa, ich hätte mir darüber keine Gedanken gemacht?« An der Stimme hörte Yvonne, dass ihre Schwester im Begriff stand, die Fassung zu verlieren. Ravenna hielt sich am Treppengeländer fest und versuchte, sich zu beherrschen. Arme, dumme Schwester, dachte Yvonne. Sie hat noch immer nicht begriffen, dass Magie aus Gefühlen entstand. Aus großen Gefühlen wie Liebe, Leidenschaft und Verzweiflung.
    »Nimm ihn mir nicht weg, Yvonne«, stieß Ravenna hervor. »Gönne mir wenigstens diese eine Liebesgeschichte, auch wenn sie nur einen Sommer lang hält. Was soll schon aus dem Maipaar werden, wenn der Winter kommt? Schaffst du das? Meinst du, du kriegst das hin?«
    Yvonne lauschte auf den Lärm aus dem Schankraum. Schließlich zuckte sie die Achseln. »Klar«, sagte sie. »Kein Problem. Ich finde Lucian sowieso nicht besonders umgänglich und ich glaube, umgekehrt ist es genauso. Allerdings …« Sie hob den Kopf und suchte Ravennas Blick. »Allerdings kann ich nichts dafür, wenn er meine Nähe sucht.«

Die Fürsten der Hölle

    Der Festzug der Hexen nahm im Hof des Gasthauses Aufstellung. Es wurde langsam dunkel und bei Einbruch der Nacht wollte Constantin weiterreiten. Auf dieser Etappe würden sie durch die Ländereien des Marquis ziehen und den Lichtsegen über Beliars Felder und Fluren bringen. Auf diesem Ritt mussten sie ständig auf einen Überfall gefasst sein, doch die Sieben wollten sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen.
    »Wir machen es wie jedes Jahr«, beharrte Josce und die anderen Hexen nickten. »Wir schlagen genau denselben Weg ein, der uns zum Hohen Belchen bringt. Beliar soll nicht einmal daran denken, dass wir Angst haben.«
    Ravenna fühlt sich keineswegs so unverwundbar und kühn. Ihre Hände schwitzten vor Nervosität und sie fragte sich, wie die Ritter im Angesicht der Gefahr so gelassen bleiben konnten. Der Wirt und seine Tochter kamen nicht in den Hof, um sich zu verabschieden. Ravenna war leicht verärgert über dieses Verhalten, schließlich hatte Mavelle dem Mädchen das Leben gerettet. Doch dann dachte sie nicht weiter darüber nach.
    Es war eine mühsame Prozedur, bis jede Hexe und jeder Ritter den entsprechenden Platz in der langen Schlange gefunden hatte. Die Pferde wurden unruhig und stampften mit den Hufen, ihre Augen funkelten im Licht, wenn ihnen ein Fackelträger zu nahe kam. Jemand hatte seinen Umhang vergessen und rannte ins Haus zurück. Der Hofhund drehte sich im Kreis und bellte aufgeregt. Wenn die Reiter nicht Acht gaben, brachte er im Handumdrehen die mühevoll errichtete Ordnung wieder durcheinander.
    Von dem malerischen, goldenen Zauberlicht war in dieser Nacht nichts zu sehen. Wenigstens hat es aufgehört zu regnen, dachte Ravenna, während sie an ihrer Kapuze nestelte. Sie hatte Mavelle das Siegel von Samhain zurückgegeben. Sie brauchte es nicht mehr, das Tor zur Welt der Geister hatte sich geöffnet. Nun saß sie auf der Stute und hielt Lucians Pferd am Zügel. Der weiße Hengst schnaubte und schüttelte sich, begierig auf Bewegung in der Nachtluft. Sein Reiter kam zu spät und schien in keiner guten Verfassung zu sein. Als Lucian sich in den Sattel schwang, bemerkte Ravenna, dass sein Atem nach Wein roch.
    »Wo ist Eure Schwester?«, keuchte er.
    Sie versteifte sich. »Woher soll ich das wissen?«, giftete sie. »Vielleicht warst du ja mit ihr hinter dem Haus und hast ein bisschen mit ihr herumgemacht?«
    Lucian wollte gerade den Sattelgurt anziehen. Doch jetzt hielt er inne und hob den Kopf. Seine Augen waren blutunterlaufen. Er sah schrecklich aus.
    »Verdammt«, stieß er hervor. In einer einzigen, fließenden Bewegung hob er das Bein über Ghosts Hals und ließ sich aus dem Sattel gleiten, weitaus geschmeidiger, als man es von einem Betrunkenen in voller Rüstung erwartet hätte.
    »Millie!«, brüllte er. »Millie, komm her und berichte Ravenna, was du über ihre Schwester

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