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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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nicht stark genug? Ah, eine Hüterin weißer Zauberkraft … ihr werdet niemals genug Macht besitzen, um euch mit uns zu messen. Alles, was ihr beherrscht, ist Blümchenmagie.«
    Sie legte das Auge des Teufels auf den Tisch. Der Stein sah wirklich wie ein Auge aus – wie das große, glänzende Auge eines geschlachteten Ochsen.
    Ächzend stützte Yvonne sich auf die Tischkante. »Pack das weg!«, forderte sie ihren Gast auf. »So ein Ding will ich nicht in meiner Küche haben.«
    »Das ist nicht deine Küche«, bemerkte Oriana trocken. »Und es ist auch nicht länger deine Zeremonie. Es war voreilig von dir, deine Gefährtinnen wegzuschicken. Sie sehen so harmlos aus, aber in dieser Nacht haben sie tatsächlich den Wind, die Flamme und den Fels verkörpert. Sie hätten dich schützen können. Nun bist du allein mit mir und den Mächten, denen ich gehorche.«
    »Nein«, krächzte Yvonne. Sie hatte die Kontrolle über das Orakel verloren und wusste es auch. Von nun an übernahm ihr Gast die Führung. »Warum tust du das?«
    Orianas schrilles Lachen schmerzte Yvonne in den Ohren. »Weil es meine Natur ist! Und weil ich dir eine Lektion erteilen möchte. Du willst die Mächte der Finsternis um einen Blick in die Schatten bitten? Dann bringe ihnen zuerst ein Opfer dar. Es muss etwas sein, an dem dein Herz hängt.«
    Ratlos warf Yvonne die Hände in die Luft. »Wie gesagt, das ist nicht meine Wohnung. Hier gehört mir so gut wie gar nichts. Was verlangst du: Schmuck? Geld? Noch mehr Blumen?« Der Gedanke an ein Opfer war ihr vertraut. Auch der Göttin bot man Getreide, Früchte, Tabak oder manchmal sogar ein Gläschen Wein dar, als Dank für einen gewährten Wunsch.
    »Wie wäre es mit der Katze?«, schlug Oriana vor. Ungerührt beobachtete sie Merle, die sich wieder unter dem Tisch hervorgewagt hatte. Ängstlich strich sie vor der Küchentür auf und ab, denn durch das Holz hörte sie ihre Jungen maunzen.
    Yvonne starrte ihren Gast an. »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Das ist mein voller Ernst.« Die Messerspitze zeigte auf die verschwommenen Kristalle und den Spiegel unter der Wasseroberfläche. »Ein Stück unbelebter Natur, ein Teil der Pflanzenwelt und ein Leben – mehr verlangt mein Meister nicht, damit er dich durch sein Auge blicken lässt.«
    »Kommt nicht infrage. Nicht mal im Traum denke ich daran, so etwas Widerwärtiges zu tun!« Yvonne bückte sich und versuchte, die verstörte Katze zu greifen. »Merle, sei brav, lass dich hochnehmen. Oriana, du packst jetzt deinen Krempel und verschwindest!«
    Die Angesprochene rührte sich nicht. Merle sträubte das Fell und hieb mit den Krallen nach der ausgestreckten Hand. Sie weiß es, dachte Yvonne entsetzt. Sie spürt, worüber hier geredet wird! Mit einem erstickten Aufschrei prallte sie gegen die Wand, als Oriana plötzlich vor ihr stand – ein dunkler Schemen zwischen den Schatten der Nacht. Das Messer in ihrer Hand glitzerte wie ein Dorn.
    »Deine Schwester ist verschollen«, erinnerte Oriana sie mitleidlos. »Ravenna von der Dombauhütte, nicht wahr? Sie ist durchgedreht und hat eine Statue beschädigt. Vielleicht irrt sie gerade einsam durch den Wald und weiß weder, wer sie ist, noch wo sie hingehört. Hast du eine Vorstellung davon, was ihr zustoßen könnte, während wir hier stehen und nutzlos unsere Zeit verplempern? Wie man hört, sitzt der Kerl, der sie überfallen hat, noch immer nicht hinter Schloss und Riegel. Aber du willst ihr nicht helfen.«
    »Nicht so. Nicht jetzt«, stieß Yvonne hervor. Sie presste die zappelnde Katze an sich. »Woher weißt du das alles überhaupt?«
    »Es stand in allen Zeitungen. Mit einem Bild von ihr, falls jemand sie gesehen haben sollte. Hübsch. Ein ganz anderer Typ als du.«
    Yvonne gelang es kaum noch, die Tränen zurückzuhalten. »Wer hat denn ihr Foto an die Zeitungen gegeben? Kommissar Gress hatte uns doch geraten …«
    Ungehalten wischte Oriana ihre Frage beiseite. »Ich glaube, es war ihr Arzt, Doktor Cordeau oder so ähnlich. Jedenfalls wird er in dem Bericht zitiert. Aber was spielt das denn noch für eine Rolle? Jeder weiß jetzt, dass Ravenna schutzlos durch die Gegend irrt. Vielleicht gibt es noch jemanden, der sie finden will – jemand, der sie schon einmal gefunden hat.«
    Yvonne keuchte. Sie wollte in diesem Augenblick ihren ersten Fluch ausstoßen, einen schrecklichen und wirkungsvollen Fluch, aber plötzlich fühlte es sich an, als würde ihr eine unsichtbare Faust die Kehle zudrücken. Hustend

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