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Die Hexen von Eastwick

Titel: Die Hexen von Eastwick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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abstützt, klappte er das umgekehrte W seiner Flügel auf
und erhob sich, die schwarzen, stöckerigen Füße nachschleifend. Er?
Sie? Alexandra wandte den Kopf mit dem strähnigen, nassen Haar
und erspähte auf der anderen Seite, zu den aschenen Sandhügeln des
Strandes hin, ein zweites helles Loch im Grau dieses Tages, einen
zweiten großen Reiher; die beiden gehörten zusammen, wenn sie auch
viele Meter weit voneinander getrennt waren unter diesem schmutzig
gestreiften Himmel.
Als der erste Reiher abhob, begannen die mörderischen Zwingen des
Meeres ein wenig nachzulassen; langsam glitten sie an ihren
Schenkeln herunter, und atemlos, weinend vor Entsetzen und Lachen,
watete sie weiter, hinauf zum trockenen Abschnitt des Dammes, der
zu ihrem Auto führte. An der tiefsten Stelle der Flut hatte eine Art
Triumphgefühl sie erfül t, und das ebbte jetzt ab. Alexandra zitterte
wie ein Hund und lachte über ihre eigene Narrheit: gestrandet auf der
Suche nach Liebe. Der Geist braucht Narrheit wie der Körper
Nahrung; sie fühlte sich gesünder so. Die Vision, die sie von sich
gehabt hatte – ertrunken, grünlich verfärbt, erstarrt in der Verrenkung
des Todeskampfs, wie die beiden einander umschlingenden Frauen
auf dem ungeheuren Gemälde ‹Undertow› von Winslow Homer –,
waren nicht Wirklichkeit geworden. Ihre Füße trockneten und
schmerzten, als hätten hundert Wespen sie gestochen.
Die Spielregeln verlangten, daß sie sich umdrehte und Van Horne
in kokettem Triumph zuwinkte. Er stand, ein kleines schwarzes
Ypsilon, zwischen den Backsteinpfosten seines zerbröckelten Portals
und winkte mit beiden, weit ausgestreckten Armen zurück. Er
    applaudierte ihr, klatschte in die Hände, und das Geräusch kam über
die zwischen ihnen liegende Wasserfläche, um einen
Sekundenbruchteil verzögert bei ihr an. Er rief irgend etwas, aber sie
verstand nur die Worte: «Sie können fliegen!» Sie trocknete sich die
beperlten, gänsehäutigen Beine mit dem roten Kopftuch ab und
zwängte sich in die lange Hose, und Coal wuffte dazu und schlug mit
dem Schwanz auf den Vinylbezug im Subaru. Seine Freude war
ansteckend. Sie lächelte und überlegte, wen sie zuerst anrufen und
informieren sol te, Sukie oder Jane. Endlich hatte auch sie die Weihen
empfangen. Die Stelle am Arm, wo er sie gekniffen hatte, brannte
noch immer.
    Die kleinen Bäume, die jungen Spunte unter den Zuckerahornen und
die Babies bei den Roteichen, die dicht am Boden kauern,
veränderten als erste ihre Farbe, als ob Grün ein Verdienst der Stärke
sei und die kleinsten am ehesten schlappmachen müßten. Anfang
Oktober hatte der wilde Wein die eingestürzte Findlingsmauer hinten
in Alexandras Garten, auf der Grenze zum Moor, plötzlich in
flammendes Karmesin getaucht, und die paral el hängenden Dolche
des Sumach waren rot, mit Orange übergossen. Langsam, wie der
Hal eines großen Gongs, breitete sich Gelb über Bäume und
Gesträuch: vom Braungelb der Buchen und Eschen zum
gesprenkelten Gold des Hickory und dem dünnen Butterton der
fäustlingförmigen Blätter des Sassafras, Fäustlinge mit einem oder
zwei oder keinem Daumen. Es war Alexandra oft aufgefallen, daß
zwei nah beieinanderstehende Bäume derselben Art, gesprossen aus
zwei Samen, die an ein und demselben Tag herniedergetrudelt sind,
sich auf ganz unterschiedliche Weise verfärben: das Laub des einen
verblaßt, wird immer matter im Ton, und der andere sieht aus, als sei
jedes seiner Blätter handbemalt von einem Fauve, in stichigem Rot-
Grün-Kontrast. Die Farne am Boden taten im Welken eine
    verschwenderische Vielfalt der Formen kund. Jeder Wedel rief: ich
bin, ich war. So begab sich im Herbst al enthalben eine Wiedergeburt
des Unverwechselbaren aus dem gleichmacherischen Grün des
Sommers. Die Spannweite des Ereignisses – vom Wachsmyrten- und
Strandpflaumengesträuch am Block Island Sound bis zu den
Sykomoren und Roßkastanien an den ehrwürdigen Straßen (Benefit
Street, Benevolent Street) auf dem Col ege Hil von Providence –
antwortete dem Ausgebreiteten, Hingeschmiegten in Alexandras
Wesen, ihrer Sehnsucht zu verschmelzen, ihrer passiven Fähigkeit,
eins zu werden mit einem Baum, sich als starren Stamm zu empfinden
mit vielen Asten, die vol er Saft waren bis in die Spitzen; die längliche
Wolke zu werden, die sonderbar al ein am Himmel stand; oder die
Kröte, die von der Schneise des Mähers weghoppelte, dorthin, wo das
Gras tiefer und

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