Die Hexenadvokatin
Verrückte oder ihrethalben auch für eine Heilige halten …
Insgeheim hatte Alberta sich längst zur Anwältin der Beschuldigten entwickelt und sann nun gemeinsam mit ihrem Mentor auf eine Strategie, durch die der Prozess endlich mit einem Freispruch Constanzes zu beenden sei. Freilich hatte sie auch nicht aus den Augen verloren, dass jeder weitere Tag, den sich die quälende Anhörung hinzog, ihrem eigenen Ansehen wenn nicht gar ihrer Sicherheit schadete.
»Ich habe mich ausführlich mit den Büchern über die Jungfrau von Orléans vertraut gemacht, die Ihr mir besorgt habt, Pater«, wandte Alberta sich an den Mönch. Nach einem ausgiebigen Mittagsmahl hatten sich die beiden zur Beratung in den Salon zurückgezogen. »Weil das Mädchen nicht aufhörte, von den Heiligenstimmen zu reden, die nur zu ihr sprachen, hat man sie als Hexe verurteilt.
Auf Johannas angebliche Frömmigkeit seien viele hereingefallen, die ihr wie einer heiligen Jungfrau folgten, hat man ihr vorgeworfen. Das erinnert mich fatal an die hysterische Verehrung,
die das bayerische Volk Constanze bereits jetzt entgegenbringt.«
»Immer noch wallfahren die Pilger zum Kloster, wo sie die ›heilige Nonne‹ anzutreffen hoffen«, pflichtete Pater Winfried ihr bei und wiegte sorgenvoll den Kopf. »Sie als Hexe zu verurteilen, könnte in der Tat einen Volksaufstand auslösen.«
Alberta erschrak. »Das wäre das Letzte, was wir brauchen könnten. Die in weiten Teilen Bayerns erneut ausgebrochene schlimme Seuche genügt ohnehin schon! Mittlerweile ist jede fünfte Familie betroffen. München ist zwar bis jetzt noch glimpflich davongekommen, aber wenn es schlimmer wird, werden wir den Prozess auf längere Zeit vertagen müssen.«
»Constanzes Familie traue ich es ohne weiteres zu, dass sie die Bauern ihres Herrschaftsgebiets zur Rebellion aufstacheln könnte - dann hätten wir einen Bruderkrieg in Bayern. Ein entsetzlicher Gedanke!« Pater Winfried graute vor dieser Möglichkeit, die er als gar nicht so abwegig einschätzte; aber Alberta war mit ihren Gedanken mittlerweile woanders.
»Um wieder auf Johanna von Orléans zurückzukommen, Pater: Ein hochrangiges Gericht ließ sie im Jahre 1431 verbrennen und fünfundzwanzig Jahre später erklärte ein ebenso hochkarätiges kirchliches Gericht diesen Prozess und das Urteil für null und nichtig.
Man hatte einen offenkundigen Rechtsbruch begangen. Aber die Ärmste hatte nicht mehr viel davon - außer dass man ihr, der exkommunizierten Hexe, die gar keine war, nachträglich ein Sühnekreuz aufstellte. Soweit will ich es mit Constanze gar nicht erst kommen lassen - auch wenn ich mir selbst damit schaden sollte.«
»Jeder, der sich noch einen Funken Menschlichkeit bewahrt hat, wird Euch zustimmen, Alberta. Schon zu Johannas Zeiten waren nicht alle Gegner der Jungfrau sicher, tatsächlich eine
Hexe ins Feuer geschickt zu haben. Sogar ihr Henker lief noch am Tag der Hinrichtung zu den Dominikanern und bekannte: ›Ich befürchte, verdammt zu sein - habe ich doch eine Heilige verbrannt.‹
Aber jetzt solltet Ihr Euch für einige Zeit von allen Gedanken an den Prozess freimachen. Es gibt Wichtigeres in Eurem Leben als die Rechtsprechung über eine exaltierte Jungfer, die sich selbst in diese missliche Lage gebracht hat.« Dabei lächelte der Pater geheimnisvoll - so, als wüsste er etwas, wovon die Gräfin noch keine Ahnung hatte.
In der Tat war es die wunderbarste aller Überraschungen, welche die »Hexenadvokatin« - wie sie sich selbst insgeheim titulierte - erleben durfte:
Albrecht von Hochfelln-Tausch, der heimliche Verlobte, war zu seinen zukünftigen Schwiegereltern gereist, um einige Tage mit der geliebten Braut zu verbringen. Offiziell überbrachte er dem Hausherrn und seiner charmanten Gemahlin Grüße und Neuigkeiten von einem befreundeten Herrn aus Pisa, sowie ein Gemälde des Malers Tizian.
Natürlich steckte mehr hinter seinem Besuch: Der Freiherr wünschte nichts weniger als seine Liebste davon zu überzeugen, dass es am besten für alle sei, Bayern heimlich und umgehend mit ihm zu verlassen, um seine Frau zu werden und in Frieden in der Toskana zu leben.
»Nach dem ersten Wirbelsturm wird nur noch ein laues Lüftchen wehen und auch das wird letzten Endes einschlafen«, behauptete der verliebte Edelmann. »Danach schert sich kein Mensch mehr um uns. Dann gibt es längst wieder einen neuen Skandal und niemand denkt mehr an Euer Rollenspiel, mit dem Ihr Eure Umgebung so getäuscht
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