Die Hexenadvokatin
Ahnung. Sie spürte nicht das Damoklesschwert, das über ihrem Haupt schwebte. War sie doch diejenige, der der Herzog heikle Missionen anvertraute, die allerhöchstes Wohlwollen und in gewisser Weise sogar des Fürsten Zuneigung genoss - soweit ein Mensch wie Maximilian überhaupt zu solchen Gefühlen fähig war.
Hatte er nicht alle Emotionen bereits als ganz junger Mensch in sich abgetötet, weil er sie als Schwäche ansah, die sich ein Herrscher nicht erlauben durfte?
Aber die Gräfin durfte sich in der Gunst Seiner Durchlaucht sonnen. Das bemerkte sie jeden Tag an der Art und Weise, wie ihre Reisebegleiter ihr begegneten, mit welcher Ehrfurcht sie die so viel Jüngere behandelten.
Keiner der Herren ließ sich etwaigen Groll anmerken, den der eine oder andere möglicherweise gegen sie hegte, weil Maximilian ausgerechnet sie, einen Grünschnabel, für diese ganz spezielle Aufgabe ausgewählt hatte.
Die Reise nach Rom ging ohne Zwischenfälle vonstatten. Alle waren gesund, in den Ruhepausen plauderte man in aller Freundschaft und war insgesamt heiter gestimmt.
Jedem war die Wichtigkeit des Auftrags bewusst und niemand in der Gruppe hatte die Absicht, ein etwaiges Scheitern durch Missstimmigkeiten zwischen den einzelnen Teilnehmern zu provozieren.
Der Dekan von Sankt Peter, Doktor Wolfgang Hannemann, erzählte gerade zum großen Vergnügen der Herren ein paar launige Geschichten über den Hofnarren Herzog Maximilians, einen kleingewachsenen Burschen namens Wölfflein mit einem Mundwerk wie eine Marktfrau vom Münchner Schrannenplatz.
Das wollte etwas heißen! Niemand galt als so schlagfertig und scharfzüngig wie die Marktweiber. Selbst die Stadträte und herzoglichen Hofräte - ja der Herzog selbst - ließen sich niemals auf Debatten mit diesen Frauen ein. Sie waren jedem Mann - gleich welchen Standes und Bildungsgrades - an Pfiffigkeit und Witz haushoch überlegen.
Einzig der Wölfflein konnte es mit ihnen aufnehmen - und er tat es auch zuweilen zum Gaudium der Marktleute und ihrer Kundschaft. Dem Vernehmen nach hatte der Hofnarr bei Seiner Durchlaucht »einen großen Stein im Brett«. Er durfte ihn und seine steife spanische Art sogar nachäffen - etwas, das keinem außer ihm gut bekommen wäre … Wölfflein war ein gutes Beispiel dafür, was »Narrenfreiheit« bedeutete.
»Ach! Tat das gut, wieder einmal so recht von Herzen zu lachen«, sagte Pater Winfried und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht. Sein Schützling Alberta war immer noch hochrot und kicherte erstickt in sich hinein.
Sollte sie sich ruhig amüsieren. »Wer weiß, ob wir in Rom noch etwas zu lachen haben werden«, dachte der alte Mönch. Er hatte so gut wie keine Hoffnung, dass die Kurie bereit wäre, auf die Forderungen Maximilians einzugehen. Mit Sicherheit
würde sie sich nicht erweichen lassen und Kaiser Ludwig der Bayer würde bis zum Tag des Jüngsten Gerichts im Kirchenbann verharren …
Als er merkte, dass die anderen Herren schon ein Stück vorausgeritten waren, gab auch er seinem Pferd leicht die Sporen, um erneut zur Gruppe aufzuschließen. Es war noch ein gutes Stück Weges bis zur Ewigen Stadt und zum Palazzo des Kardinal Gianfranco Orsini, welcher der Delegation aus Bayern liebenswürdigerweise ein Quartier angeboten hatte.
16. September 1611, in München
Ehe der alte Graf zu Mangfall-Pechstein sich nach dem Mittagessen aufmachen musste, um pünktlich zur Audienz bei seinem Verwandten Maximilian zu erscheinen, hatte er den ganzen Vormittag für sich. Er beschloss, einem seltenen Bedürfnis nachzugeben. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich heute in seinem Innersten gedrängt, die Kirche zu Unserer Lieben Frau aufzusuchen.
Als er durch den Haupteingang zwischen den beiden wuchtigen Zwillingstürmen das imposante Innere betrat und eine Weile an der Stelle verharrte, von wo aus man keinerlei Fenster in dem Bau erkennen konnte, musste er schmunzeln.
Im Volk hatte sich die Sage verbreitet, der Teufel habe vor der Einweihung der Kirche das Gebäude voller Neugier aufgesucht. Als er kurz hinter dem Eingangsportal stehen blieb und nach vorne zum Altar spähte, habe er geglaubt, die Maurer hätten die Fenster vergessen; voll Schadenfreude habe er sich auf die Schenkel geklopft und sei vor Vergnügen über die vermeintliche Dummheit der Menschen herumgehopst! An der Stelle, wo der Teufel, dem Volksmund nach, auf und ab
gehüpft war, sah man im Marmorbelag des Fußbodens einen tiefen Abdruck, der
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