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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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Kapitän gezeigt hatte. Tatsächlich, wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie schwarze und weiße, sich ineinanderdrehende Wolken erkennen.
    »Vielleicht zieht er vorbei«, meinte sie zaghaft.
    »Vielleicht fällt Ostern dieses Jahr auf Pfingsten«, versuchte der Kapitän einen Scherz. »Nein, ich muss meine Männer für diesen Sturm bereit machen. Entschuldigt mich jetzt.«
    Danach schallten die Befehle des Profos und des Geschützmeisters übers gesamte Schiff. Segel wurden fest eingerollt, die Verschnürung aller Ladungsteile wurde überprüft, und alles, was nicht richtig festgebunden werden konnte, wurde ins Unterdeck verbannt. Auch dort wurde alles überprüft, die Fässer mit dem wenigen Frischwasser wurden frisch mit Pech abgedichtet. Kurzum, das gesamte Schiff erwachte wie aus dem Tiefschlaf. Es war, als würde der kommende Sturm alle mit Hoffnung erfüllen.
    Das Wasser begann sich zu kräuseln, die Wellen wurden höher, und die Amalberga von Gent bewegte sich wieder.
    Niemand durfte mehr die Aborte benutzen. Wer trotzdem eine dringende Notdurft zu erledigen hatte, musste in die stinkende Bilge direkt über dem Schiffskiel steigen und sich dort erleichtern, wo sich das eindringende Sickerwasser mit dem Abwasser vom Deckreinigen und manchmal auch den Küchenabfällen vermischte. Alle Passagiere mussten in ihre Kajüten, und man empfahl ihnen, sich irgendwo anzubinden.
    Der Wind wurde jede Minute stärker und schüttelte die Amalberga hin und her, als wäre sie nur eine kleine Schaluppe. Blitze zuckten in der Ferne über das Meer, aber nicht vertikal, wie Rosa das kannte, sondern quer über den Horizont. Der Himmel schimmerte grüngrau, und die Luft wirkte wie aufgeladen.
    Rosa bekam langsam Angst. Konnte ein Sturm noch schlimmer sein als der, den sie schon überlebt hatte? Offensichtlich. Sie suchte Wolfhardt und fand ihn in seiner Kajüte, wo er in großer Eile alle wichtigen Medikamente, die er noch hatte, in seiner wasserdichten Lackkiste verstaute.
    »Was ist denn ein Taifun?«, fragte sie.
    »Ein Wirbelsturm, der so stark ist, dass er das gesamte Schiff mitnehmen und in die Luft reißen kann.«
    »Hast du das schon einmal erlebt?«
    »Ja, man kann Glück haben oder auch nicht. Sonst kann man eigentlich nichts tun.« Er murmelte so leise vor sich hin, dass Rosa ihn in dem heulenden Wind, der durch die Kajüte hindurchfegte, als wären da keine Wände, beinahe nicht gehört hätte.
    »Und jetzt sollten wir nach den Kranken sehen, bevor der Sturm losbricht.«
    In diesem Augenblick kam zu dem Heulen des Windes noch ein Donnern, als ob Steintürme einstürzen würden. Die Wellen wurden höher und brachten die Amalberga ins Kreiseln. Rosa beschloss, dass sie sich diesmal an einen der Masten anbinden würde. Sie suchte jedoch vergeblich nach einem Tau, bis ihr einfiel, dass die Matrosen auf Befehl vom Profos alle sicher verstaut hatten, damit diesmal keins über Bord gehen konnte.
    Das Heulen ging in ein Kreischen über, und die Blitze kamen näher und näher, aber es regnete nicht. Gebannt starrte Rosa den Himmel an; das Grünliche hatte sich in gelbliche Schlieren verwandelt, die Wolken waren plustrig aufgetürmt, als wären es die schwarzfedrigen Daunenbetten des Teufels.
    Es roch wieder nach Seetang und Fisch, die tobende Luft umhüllte Rosas Haut mit winzigen feuchten Kristallen, unwillkürlich leckte sie ihre Lippen ab. Salzig.
    Steh hier nicht so rum, du dumme Gans, bring dich lieber in Sicherheit, bevor es noch schlimmer wird!, befahl sie sich.
    In diesem Moment zuckte ein Blitz auf das Schiff herab, dann noch einer und noch einer. Dem letzten Blitz folgte ein Krachen. Rosa zuckte zusammen, was war das?
    Einer der Masten war getroffen worden. Rosa war fassungslos angesichts der Kraft, mit der der Blitz ihn in der Mitte entzweigespalten hatte. Er stürzte auf das Deck herab.
    Lautes Geschrei drang zu ihr, sie konnte Stimmen erkennen. Wolfhardt! Man verlangte nach dem Arzt. Sie rannte zu seiner Kajüte hinüber und trommelte an die Tür, dann erst fiel ihr ein, dass er ja nach unten hatte gehen wollen. Sie machte sich auf zur Treppe ins Unterdeck. Immer wieder wurde sie vom Schwanken des Schiffes beinahe hingeworfen. Ohrenbetäubender Donner krachte über dem Schiff, dann endlich fing es an zu regnen. Rosa dachte daran, wie gut es wäre, wenn man dieses Wasser auffangen könnte, klares, reines Wasser. Aber wie sollte das gehen?
    Obwohl es weiter donnerte und blitzte, hatte sie viel weniger Angst als

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