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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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keinen Altar, kein Kruzifix, nichts. Die Wände waren ohne jeden Schmuck, und die Fenster hatten durchsichtige Scheiben.
    Sie hätte gern mit Luis darüber gesprochen, aber er war nur selten lange genug bei Bewusstsein. Außerdem quälten sie noch andere Gedanken, die jeden Tag drängender wurden.
    Luis wälzte sich zur Seite. Rosa drehte seinen schweißnassen Körper, weil er nicht auf der verletzten Schulter liegen sollte. Sie wusch sein feuchtes Gesicht kalt ab und seufzte.
    Was ihr beinahe das Herz zerriss, war die Tatsache, dass die Stella Maris morgen auslaufen würde. Und wer wusste schon, wann wieder ein Schiff kam, das nach Masulipatnam segelte?
    Jedes Mal, wenn sie Luis die Stirn abtupfte, sah sie ihre Schwestern mager und hungrig vor sich. Sah, wie ihre Mutter ihnen die Stirn abwischte und sie alle die Tage zählten, bis Rosa endlich zurückkam.
    Sie war bestürzt darüber, dass sie in den Armen von Luis manchmal vergessen hatte, warum sie überhaupt von Nürnberg weggegangen und was ihre Aufgabe war. Dabei war nun schon April, in drei Monaten war das erste Jahr ihrer Frist abgelaufen, und sie war noch nicht einmal in Indien angekommen.
    Luis zitterte unter einem Fieberschub. Sie deckte ihn wieder zu und legte sich neben ihn, um ihn zu wärmen.
    »Du wirst wieder gesund, ganz sicher, du musst einfach gesund werden«, flüsterte sie zu seinem Rücken hin.
    Aber er könnte sterben, und dann würde sie nie wieder jemand so unverschämt anlachen und mit rauer Stimme »Liebste« flüstern. Niemand würde ihren Hexenfinger küssen, bis ihr schwindelig wurde, und sie seine Lieblingsfrau nennen.
    Tränen stiegen Rosa in die Augen, und sie klammerte sich fest an seinen heißen Körper. Nein, nein, jemand wie Luis starb nicht einfach!
    Aber was war mit den Zwillingen, ihren schwachen und kränklichen Schwestern? Und was mit Toni? Auch wenn meine Mutter stark ist, dachte Rosa, der Tod ihrer Töchter und der Verlust ihrer Heimat, das wäre auch ihr Tod. Und hatte ihre Mutter nicht durch die unselige Hexentochter schon viel zu viel gelitten? Rosa wollte einmal, nur ein einziges Mal sehen, wie ihre Mutter sie anlächelte.
    Aber hier in ihren Armen lag Luis, schwer verletzt, Luis, der sie liebte, so wie sie war, und sie so oft anlächelte, wie die Stunde Minuten hatte.
    Morgen legte die Stella Maris ab. Morgen.
    Rosa schluchzte auf und wischte sich dann entschlossen die Tränen ab.
    Sie musste bei Luis bleiben. Sie liebte ihn. Er liebte sie. Und wenn sie bliebe, Luis gesund werden würde, aber leider monatelang kein Schiff nach Masulipatnam segelte?
    Dann käme sie nicht mehr rechtzeitig zurück, und die Familie Zapf in Nürnberg wäre am Ende.
    Sie wünschte sich, Siranush wäre hier und könnte ihr einen Rat geben. Was hätte sie gesagt? Mach, was dein Herz befiehlt, oder: Lass die, die du liebst, niemals im Stich.
    Rosa beugte sich über Luis und küsste seine vom Fieber spröden Lippen.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Aber ich muss gehen. Verzeih mir, Liebster, verzeih.«
    »Was sagst du da?« Luis drehte sich langsam zu Rosa um. »Du willst mich verlassen? Jetzt?«
    Rosa schoss das Blut in die Wangen. »Luis, du weißt, was ich für dich empfinde, aber die Stella Maris läuft morgen aus.«
    »So.«
    Dieses »So« schnitt ihr mehr ins Herz als alles, was er sonst hätte sagen können. So war sie also, so eine, und so etwas wollte sie tun.
    »Und das Gold?« Er zitterte vor Anstrengung. »Wirst du mit meinem Gold verschwinden, ja?« Sein Atem ging schnell und flach.
    »Nein. Liebster, nein, natürlich nicht. Es ist in Sicherheit. Ich habe das Gold im Hafen versteckt.« Rosa schämte sich noch mehr. Nicht nur, dass sie ihn in so einem Moment verlassen wollte, nein, sie würde auch mit dem Gold aus dem leichteren Sack die Überfahrt bezahlen müssen, denn anderes Geld hatte sie nicht.
    »Im Hafen?« Luis röchelte jetzt. »Wie das?«
    »Ich konnte den Sack nicht tragen, deshalb habe ich ihn zugebunden und vom Kai ins Wasser gestoßen.«
    Er lachte, aber es klang wie ein Husten.
    »Liebster, ich hole meinen Neffen, danach werde ich wiederkommen und dich holen, und dann segeln wir zusammen zurück nach Europa.« Sie schmiegte sich an ihn, wollte ihn streicheln und beruhigen, aber er machte eine winzige Bewegung, wie um sie abzuschütteln.
    »Lass das! Geh schon, und untersteh dich, hier noch mal aufzukreuzen! Ich brauche dich nicht.«
    »Du bist nicht bei Sinnen.« Sie schob sich wieder näher zu ihm hin, was ihn

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