Die Hexengabe: Roman (German Edition)
das Gold des Venezianers stahl, hatte sie dazu gebracht, sich dem Schiff zu nähern.
»Schsch.« Luis legte den Finger an die Lippen und deutete auf den Wachmann, der dort stand, wo die Planken aufs Schiff führten. »Lock ihn her«, flüsterte er. »Liebste, zeig, was du kannst.« Er nickte ihr zu und versteckte sich hinter einer Ladung Fässer, die am Kai stand.
»Hey, du da oben, du siehst aus wie ein kräftiges Bürschchen!«, rief Rosa und versuchte, so liederlich wie möglich auf die Planken zu steigen. »Alle anderen beglücken die Huren in der Stadt, nur du musst Wache stehen. Ich kann das ändern, wenn du willst!«
Der Wachmann kam näher und machte wegwedelnde Armbewegungen. Rosa wackelte mit den Hüften und winkte ihn zu sich. Schließlich wurde es dem Wachmann zu bunt, und er stieg die Planken hinunter zum Kai, wo Luis hinter den Fässern hervorpreschte und ihn so heftig in den Nacken schlug, dass er wie ein gefällter Baum umstürzte.
Überrascht von seiner brutalen Vorgehensweise sog Rosa Luft ein, überprüfte hastig, ob der Wachmann noch atmete, und zerrte ihn zusammen mit Luis hinter die Fässer, damit er nicht gleich zu sehen war. Dann rannten sie aufs Schiff.
Voller Sehnsucht sah sie zur Stella Maris hinüber, die genau wie die Amalberga in tiefer Dunkelheit dalag. Die Stella Maris brachte weiße Elefanten für den Großmogul Aurangzeb nach Kolkata und würde auf dem Weg dorthin in Masulipatnam haltmachen. Und sie würde schon in fünf Tagen auslaufen, noch vor der Amalberga .
»Rosa?« Luis deutete mit dem Kopf zu den Luken. »Keine weiteren Wachen. Ganz schön leichtsinnig vom Kapitän!«
»Vielleicht hat die Mannschaft es einfach ausgenutzt, dass der Kapitän mit den Offizieren beim Kommandanten des Forts eingeladen worden ist. Gleiches Recht für alle«, flüsterte Rosa.
Sie schlichen zusammen nach unten. Obwohl das Schiff unbewacht zu sein schien, zitterte Rosa vor Angst, dass der Profos mit einer voll bewaffneten Mannschaft plötzlich vor ihr stehen, sie in einen Hinterhalt gelockt haben könnte.
»Schscht.« Luis legte den Zeigefinger an den Mund, dabei war Rosa nur über eine Stufe gestolpert. Sie dankte Gott, dass der Kapitän der Mannschaft der Amalberga endlich den ersehnten Landgang eingeräumt hatte. Aber um Mitternacht mussten alle wieder zurück sein, daher sollten sie sich beeilen.
»Da drüben ist es!« Luis deutete auf die Kisten, die hinter der Ankerwinde verstaut waren. Auf dem Weg dorthin huschten ein paar Ratten davon. Während der langen Flaute hatte es nicht eine mehr gegeben, dachte Rosa, alle waren verspeist worden. Wo kamen die denn jetzt wieder her?
Luis warf den Sack neben die Holzfässer und setzte das mitgebrachte Stemmeisen an. Krachend flog der Deckel zu Boden.
Rosa blieb am Eingang zum Unterdeck stehen.
»Ja!«, hörte sie Luis befriedigt seufzen. »Ja! Rosa, komm her! Wir müssen so viel mitnehmen, wie wir tragen können.«
Rosa verließ nur ungern ihre Position, lief zu ihm und konnte kaum glauben, was sie vor sich sah.
»Wenn uns die VOC erwischt, dann werden sie uns hängen.«
»Das gehört nicht der VOC, sondern mir.«
Luis lächelte so, dass Rosa seine Zähne in der Dunkelheit aufblitzen sah. »Ich habe das Geld, das Baldessarini und Dobkatz beim Safranhandel unrechtmäßig beiseitegeschafft haben, beim Sklavenhandel zu Gold gemacht. Die beiden Dummköpfe glauben wirklich, dass ich mit dem Gold wieder nach Afrika fahren und neue Sklaven kaufen würde, um sie noch reicher zu machen. Sie haben den dummen Jesuiten unterschätzt. Und deshalb gehört dieses Gold jetzt mir und meiner Schwester.«
Er klaubte die Münzen in die beiden Säcke, die sie mitgebracht hatten.
Sklavenhandel? Das musste sie falsch verstanden haben. Der Anblick der Kinder in Ketten auf den Kapverden drängte sich vor Rosas Augen.
»Wir dürfen nicht zu gierig sein, sonst schnappen sie uns, weil wir zu schwer zu tragen haben. Hier drin ist schon genug.« Er reichte ihr den weniger prallen Sack und füllte seinen mit klirrenden Münzen.
»Los, und jetzt nichts wie weg hier.«
Rosa nahm wie betäubt den Sack und hängte ihn sich über die Schulter. Er wog so viel wie ein Sack Mehl, nein, nicht wie Mehl, er wog so viel wie ein kleiner Mensch. Sklavenhandel! Das war abscheulich. Am liebsten hätte sie Luis den Sack vor die Füße geschleudert, aber das würde sie beide in Gefahr bringen.
»Los, Liebste, beeil dich.« Er überholte sie und stieg vor ihr die Treppe nach
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