Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
Harems innehatte, war es nicht einmal zu einem verdächtigen Todesfall gekommen, nicht einmal bei den neugeborenen Knaben. Und die hatten in einem Harem, das hatte ich in den letzten sechzehn Jahren gelernt, keine lange Überlebenschance, wenn es mehrere Favoritinnen mit Söhnen gab. Denn es war der Mogul selbst, der seinen Nachfolger bestimmte, nicht wie in anderen Königreichen, wo der Erstgeborene dem Vater auf den Thron folgt wie der Mond der Sonne.
    Jede Haremsdame wollte die Mutter des zukünftigen Kaisers sein, denn nur dann war man die wahre Kaiserin, man hatte mehr Macht als eine Ehefrau. Wenn Aurangzeb seine Mutter besuchte, dann erwies er ihr seine Ehrerbietung nach der alten Sitte des Dschingis Khan, indem er sich sogar vor ihr verneigte!
    Ich hätte auf meinen Sohn besser aufpassen müssen. Nun, mit sechsundzwanzig Jahren, bestand keine große Gefahr mehr, dass ich den besonderen Gefallen des Herrschers erregen würde. Nicht, nachdem mein Haar in der Nacht seines Todes weiß geworden war. Nicht, nachdem der Glanz meiner Augen erloschen war und meine einst so vollen Lippen nur mehr einer spröden Eidechsenschwanzhülle glichen.
    Vor allem aber würde ich sein Missfallen erregen, weil ich noch immer Christin war, ganz egal, welchen Namen sie mir gegeben hatten. Aurangzeb wurde von Tag zu Tag frommer, trug mittlerweile nur noch weiße Gewänder ohne Silber- und Goldbesatz, ganz wie ein Priester. Wein war streng verboten, ebenso die Huqqa, die Wasserpfeife.
    Die Mahaldar stand noch immer vor mir und betrachtete mich.
    »Wenn mich jetzt niemand mehr braucht, bitte ich um Eure Erlaubnis für einen Spaziergang zum Fluss.«
    Die Mahaldar schüttelte ihr glänzend schwarz geöltes Haar. »Unmöglich.«
    »Ich weiß, aber ich vermisse den Gang durch unsere Gärten schmerzlich.«
    »Den vermissen wir alle.« Sie seufzte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
    Ich versuchte es anders. »Ich bilde mir ein, dass ich am Fluss einige Heilkräuter gesehen habe.« Seit ich den Status einer Heilerin hatte, genoss ich viel mehr Freiheiten als früher. »Einige davon könnten Fatima gegen ihre Kopfschmerzen helfen.«
    Sie zögerte, dann gab sie sich einen Ruck.
    »Raihana, unser Herrscher erwartet heute Abend Besuch. Bis zum Sonnenuntergang musst du zurück in den Frauengemächern sein. Ich gebe dir Beshir Aga zur Begleitung mit. Ich möchte nicht, dass unsere Gäste umherstreifende Frauen sehen. Und wage es ja nicht, deine Burka auch nur anzuheben! Beshir wird dir beim Kräuterschneiden helfen.«
    Ich verneigte mich vor der Mahaldar und murmelte meinen ergebensten Dank.
    Beshir Aga war der Eunuch, den ich am liebsten um mich hatte. Seine Haut war tiefschwarz und schimmerte bläulich, und obwohl er groß und stark war wie ein Hüne, wirkte er feingliedrig und leicht. Als Kind hatte man ihn aus Abessinien entführt, so wie die meisten Eunuchen des Mogulreichs. Ich hatte ihn noch niemals mit einem Lächeln auf dem Gesicht gesehen. Und dafür liebte ich ihn, es war eine wunderbare Abwechslung zu dem verlogenen Gekicher im Harem. Wenige Minuten später stand er vor mir und verbeugte sich, der Schweiß auf seiner Stirn ließ diese glänzen wie schwarzes Metall. Eine Verbeugung vor mir wäre zehn Jahre zuvor noch undenkbar gewesen, damals, als ich noch eine einfache Sklavin war, ein Nichts, nachdem mein Sohn tot war. Ermordet von den kichernden Heuchlerinnen, von denen man keiner einzigen trauen durfte. Es war eine Ehre, dass die Mahaldar ihn mir zur Begleitung gab, denn auch sie bevorzugte Beshir und arbeitete daran, dass er irgendwann einmal Nazir werden würde.
    Ich legte das schwarze, zeltartige Gewand mit dem Gitter vor den Augen an und hatte wie üblich sofort das Gefühl, ersticken zu müssen. Dabei war es nun schon deutlich kühler als noch vor ein paar Stunden.
    Beshir führte mich durch die Zeltgänge nach draußen. Wir gingen stumm und genossen die Stille, die es im Harem niemals gab. Immer tuschelte, schwätzte oder lachte jemand, rieb sich eine mit Öl ein, wusch sich eine andere die Haare oder raspelte ihre Füße, bemalte sich mit Henna, küssten sich zwei, schlugen Prinzessinnen ihre Eunuchen, streichelten sich drei Verliebte. Man war niemals allein, und es war niemals still.
    Und so schwiegen wir.
    Ich hatte meine Duduk dabei. Diese Flöte war nach dem Tod meines Kindes mein kostbarster Besitz. Auch wenn ich, solange wir unterwegs waren, nicht spielen konnte, so genügte allein die Berührung ihres

Weitere Kostenlose Bücher