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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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schon viele graue Haare verursacht hatte.
    »Du gibst uns, Herr«, beendete die Mutter, als alle aufgegessen hatten, das Frühstück mit einem Dankgebet, »durch Speis und Trank Gesundheit, Kraft und Leben. So nehmen wir mit Lob und Dank das, was du jetzt gegeben.«
    »Amen«, fiel jeder ein, und Rosa war froh, dass sie jetzt endlich reden durfte.
    Toni begann den Tisch abzuräumen, Eva und Maria halfen ihr und alberten dabei, leise miteinander tuschelnd, herum.
    »Mutter, ich weiß, wie ich nach Indien kommen kann!«, platzte Rosa geradezu heraus.
    »Unsinn!« Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
    »Nein, Mutter, ich werde ins Pellerhaus gehen und dort fragen, wo ich den Baldessarini finden kann. Der soll mich nach Venedig mitnehmen, und von dort buche ich eine Überfahrt nach Indien.«
    Ihre Mutter sah zum ersten Mal heute auf, und Rosa war erschrocken darüber, wie tief die graugrünen Augen in den schwarzen Höhlen lagen.
    »Was für ein Unsinn! Du stellst dir das so einfach vor. Glaubst du wirklich, es wäre so leicht, nach Indien zu reisen? Das hat nur dein Vater zu verantworten. Er hat dafür gesorgt, dass du verzärtelt wurdest, und seine Liebe hat dich hochmütig gemacht.«
    Rosa schluckte und versuchte, ihren heftigen Zorn zu unterdrücken.
    »Und wie soll Kaspar denn sonst nach Hause kommen?«
    Ihre Mutter seufzte tief. »Das wird nicht geschehen. Uns bleiben zwei Jahre, und dann ist alles aus. Wir müssen diese zwei Jahre nutzen, um so viel Geld wie möglich zu verdienen. Wir müssen die Schulden deines Vaters bezahlen und die Zwillinge verheiraten. Deshalb brauchen wir dich hier, denn deine Schwestern sind bei Weitem nicht so begabt wie du. Aber ich fürchte, das wird nicht so einfach gehen, denn deine Lüge hat uns in eine ganz abscheuliche Situation gebracht. Du wirst also verschwinden müssen, denn so lautet die Entscheidung des Rates.
    Ich denke, ich weiß, wie wir es anstellen werden. Wir behaupten, du seiest weggefahren. In Wahrheit aber verstecken wir dich die zwei Jahre in der Werkstatt. So kannst du dort weiter arbeiten, ohne dass dich jemand sieht.«
    Rosa musste sich beherrschen, um nicht mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. »Das ist, bei allem Respekt, Mutter, Unsinn, denn ohne diese meine Lüge hätten sie uns doch sofort aus dem Haus geworfen und alles längst an den Löffelholtz verschleudert.« Rosa stampfte so fest auf die Holzplanken, dass kleine Staubwölkchen emporstieben. Eingesperrt, sie! »Verstecken im Haus? Mutter, wir haben eine Abmachung mit dem Rat getroffen. Mit dem Rat. Niemand hintergeht den Rat. Jeder wird wissen, dass ich hier bin. Willst du allen Ernstes, dass man zwei Jahre lang mit den Fingern auf uns zeigt, die Zapfs, die ein großes Maul haben und keine Courage?«
    »Wie redest du denn mit deiner Mutter?« Toni hörte auf, die Messingkanne zu polieren, und wischte die Hände an ihren breiten Hüften ab.
    »Es tut mir leid, Mutter, aber warum sollte ich das nicht schaffen? Dorothea ist auch bis nach Indien gekommen.«
    »In Begleitung ihres Mannes!«
    »Ich bin kein Kind mehr, und ich habe einen Plan. Ich werde mich einer Reisegesellschaft anschließen. Baldessarini wird mich bestimmt mitnehmen. Schließlich waren Vater und er Freunde.«
    Ihre Mutter schüttelte müde den Kopf. »Dieser Gauner wird dich nur für Geld mitnehmen. Und wer soll dann neue Druckstöcke stechen? Sollen wir hier verhungern?« Ihre Mutter betrachtete sie prüfend. »Und außerdem, Kind, dein Vater ist noch keine Woche tot und du …«
    Rosa blickte an sich herunter, bemerkte erst jetzt, dass sie vergessen hatte, ihr schwarzes Überkleid anzulegen, und auch ihre blonden Haare waren nicht bedeckt. Sie sah nicht aus, als ob sie in Trauer wäre, schlimmer noch, sie sah nicht besser aus als eine vom fahrenden Gewerbe. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie war heute Morgen so von ihrem Einfall begeistert gewesen, dass sie keinen Gedanken an ihr Äußeres verschwendet hatte.
    »Das tut mir leid.« Rosa stürmte die knarzende Stiege hinauf, streifte das dunkle Kleid über ihr helles Unterkleid, und während sie ein schwarzes Tuch um ihr Haar legte, dachte sie plötzlich wieder daran, dass sie zwar nachts am Fluss keine Angst hatte, aber noch nicht einmal vor den Toren Nürnbergs gewesen war.
    Verunsichert stieg Rosa die Stufen hinab, suchte den Blick ihrer Mutter, aber die hatte sich schon zu Eva und Maria gewendet und schimpfte die beiden aus, weil sie ihre Zöpfe so schlampig geflochten

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