Die Hexengabe: Roman (German Edition)
laut sie konnte, an das Tor in der Stadtmauer.
»Heda, ihr Torsperrer, macht das Tor auf!«
»Was wollt Ihr?«, kam endlich die verschlafene Antwort vom Wachturm.
»Einlass!«
»Verwehrt!«
Auf keinen Fall. Rosas Herz zog sich zusammen. Sie war doch nicht um die halbe Welt gesegelt und hatte Kaspar aus dem Harem gerettet, nur um dann vor der Toren von Nürnberg zu scheitern.
Stimmengemurmel, das Klirren von Metall, dann erklang eine weitere Stimme. »Oder habt Ihr irgendwelche besonderen Passierscheine?«
»Nein, das nicht, aber wir müssen nach Nürnberg. Noch heute! Es ist sehr wichtig. Ich muss zum Obersten Losunger.«
Zögernd fügte Rosa noch hinzu: »Er erwartet uns.«
Die beiden Wächter lachten. »Ja, genau, der wartet auf ein Weibsbild wie Euch!«
Arevhat kam mit einer Fackel, griff nach Rosas Arm und hielt ihr eine Handvoll Silbertaler hin. »Hier, gib ihnen dies als Passierschein.«
Rosa schüttelte den Kopf. »Das wird nicht funktionieren, wir sind in Nürnberg, nicht in Indien.«
»Jeder ist bestechlich, die Menschen sind doch überall gleich.« Arevhat zuckte mit den Schultern. »Aber ganz wie du willst. Du hast gesagt, es sei lebenswichtig, dass wir zur rechten Zeit hier aufkreuzen. Du hast alle erbarmungslos vorwärtsgetrieben, hast unterwegs jeden zur größtmöglichen Eile angepeitscht, nur damit wir noch am fünfzehnten Juli dieses Jahres in Nürnberg sein können. Und jetzt haben wir das geschafft, und du willst dich von diesen lächerlichen Wächtern davon abhalten lassen, in diese reichlich hässliche Stadt hineinzukommen?«
»Seid Ihr taub!«, brüllte Rosa daraufhin noch lauter zu den Wächtern hin. »Wir müssen zum Dobkatz, er erwartet uns, und er wird Euch hart bestrafen, wenn Ihr nicht aufmacht.«
»Wer seid Ihr denn überhaupt, Weib, dass Ihr es wagt, so ein Geschrei zu veranstalten?«
Arevhat schob Rosa zu Seite und rief nach oben:
»Wenn einer von Euch zu uns herabsteigt, dann reden wir gerne, doch es zeugt nicht von großer Höflichkeit, uns von oben herab anzuschreien!«
Sie reichte Rosa ihre Fackel. »Nimm das, ich hole noch eine.«
Rosa griff danach. »So spricht man nicht mit den Wächtern.«
Doch ein Rumpeln am Tor ließ beide aufschauen. Einer der Wächter war vom Turm herabgestiegen und hatte die kleine Fensterklappe im Tor geöffnet.
»Siehst du!«, flüsterte Arevhat. »So muss man mit denen reden, das verstehen sie.« Sie ging zurück zum Wagen, holte eine zweite Fackel, zündete sie an der von Rosa an und stellte sich neben sie.
»Also!«, knurrte er, doch als sein Blick auf die Frauen fiel, stutzte er und zwängte seinen behelmten Kopf weiter aus dem Fenster, um besser sehen zu können.
Rosa verkniff sich ein Lächeln, denn sie wusste genau, was für einen exotischen Anblick sie im Licht der beiden Fackeln bieten mussten.
Arevhat trug einen golddurchwirkten Sari und einen Kopfschleier, der sich im lauen Wind der Sommernacht schimmernd hin und her bewegte.
Kaspar, der aufgewacht war, als die Kutsche das Tor erreicht hatte und auf dem Kutschbock saß, wollte partout nichts anderes tragen als eine Pajamahose mit einem Khurti darüber, sie hatten ihn mit Müh und Not dazu bewegen können, wenigstens Pantoffeln zu tragen, denn Kaspar bestand eigentlich darauf, barfuß zu laufen.
Sie selbst hatte sich in Amsterdam prächtige Kleider besorgt, die so ähnlich aussahen wie das Kostüm, das sie als Engel der Wahrheit getragen hatte: Ein tief dekolletiertes Mantelkleid, das aus maigrüner Seide gearbeitet, mit belgischen Spitzen und Schleifen besetzt war und über einen Reifrock fiel.
Rosa trat näher zu dem Wächter hin und lächelte ihn so breit an, wie sie es vermochte.
»Also, wollt Ihr uns nicht doch hineinlassen?«
Der Mann schüttelte den Kopf, sodass die Flammen der Fackeln in seinem Metallhelm aufblitzten.
»Ihr werdet doch wohl nicht im Ernst glauben, dass zwei so schwache Frauenzimmer und ein Kind der Stadt Nürnberg Schaden bereiten werden?«
Der Wachmann biss sich auf die Lippen. Rosa schöpfte Hoffnung.
»Ja, sehen wir denn wie Bettler, Vagabunden oder Diebe aus? Oder wie anderes Gesindel, das dem Stadtsäckel Nürnbergs auf der Tasche liegen würde?«
»Mir sind die Hände gebunden.« Der Wächter zögerte. »Es tut mir leid.«
»Dann sagt uns doch zumindest, was der Grund für Eure Weigerung, uns einzulassen, ist?«, mischte sich Arevhat ein und kam näher. Der Wächter starrte auf Arevhats nackten Bauch, der unter ihrem schillernden
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