Die Hexengabe: Roman (German Edition)
warum hatte er dann seine Meinung geändert?
Verzweifelt überlegte Rosa, was ihr der Finger klarmachen wollte.
Was war denn überhaupt ein Ehrenmann?
Einer, der beim Kartenspielen niemals schummelte? Oder einer, der keine Schulden machte und nie log? Dann war ihr Vater auch kein Ehrenmann gewesen, denn das alles hatte er von Zeit zu Zeit getan. Außerdem, wie sollte sie sonst nach Venedig kommen? Wenn es bedeutete, sich diesem pompösen kleinen Mann, der kein Ehrenmann war, auszuliefern, dann würde sie das eben tun müssen.
Ein Lächeln zuckte über Rosas Gesicht. Sie würde auf der Hut sein. Wenn du weißt, dass der andere falschspielt, hast du den Sieg schon in der Tasche , hatte ihr Vater immer wieder gesagt.
Giacomo schaute fragend von einem zum anderen und ratterte dann einige italienische Sätze herunter, bis ihn Baldessarini anwies, Deutsch zu sprechen.
»Kannst du so gut Karten spielen wie dein Vater?«
Rosa zögerte einen Moment, schließlich hatte sie nur mit ihrem Vater gespielt und niemals mit jemand anderem, aber wenn ihre Reise davon abhing, dann musste das genügen. »Ja, mein Vater hätte gesagt, gut wie der Teufel.« Sie sah ihrer Mutter direkt ins Gesicht, weil sie wusste, was die davon halten würde.
»Der Teufel ist eine Frau, sagt man in Italien.« Giacomo nickte dazu, kraulte sich sein milchbärtiges Kinn und besprach sich auf Italienisch mit seinem Schwager, der sich dann an ihre Mutter wandte.
»Dieci giorni, in zehn Tagen, muss ich aufbrechen, damit ich rechtzeitig in Venedig bin, um meine Tochter zu verloben.« Er straffte seine Schultern etwas, als wäre er sehr stolz auf sich. »Meine Giulia Isabella heiratet den Enkel eines Dogen.«
Noch zehn Tage! Rosa stöhnte. Weitere zehn Tage, bis es endlich losging. Andererseits, waren zehn Tage genug Zeit, um noch ein paar Kupferstiche zu fertigen, Papier und Kleister zu bestellen und ihre Schwestern zum hundertsten Mal einzuweisen? Und woher sollte sie das Geld für Proviant nehmen? Gab es noch etwas, das sie verkaufen konnte? Ihr Kopf platzte beinahe von all den Fragen, die beantwortet werden mussten.
»Ich gratuliere zu der Verlobung«, sagte ihre Mutter. »Man ist immer stolz, wenn sich die Töchter mit einem Mann aus guter Familie vermählen.« Sie stand auf und trat auf Baldessarini zu. »Als Vater, geben Sie mir Ihre Hand darauf, dass Sie meine Tochter heil nach Venedig bringen.«
»Signora, ich schwöre, bei meinem Leben!« Der Venezianer ergriff die raue Hand ihrer Mutter und führte sie zum Mund, ohne sie mit den Lippen zu berühren. »Ich schwöre!«, wiederholte er und lächelte ihre Mutter an.
Der Hexenfinger an Rosas linker Hand wurde so kalt und starr, dass Rosa nicht einmal mehr das vordere Gelenk umbiegen konnte. Sie hielt ihn mit der rechten Hand umklammert in der Hoffnung, dass er sich endlich beruhigen würde, und starrte auf den Boden.
»Gibt es jemanden, der uns sagen kann, was meine Tochter alles benötigt?«
Baldessarini lächelte wieder. »Naturalmente, Signora. Giacomo wird Euch genauestens instruieren.«
»Wäre es nicht doch besser, wenn eine andere Weibsperson meine Tochter begleiten würde?«
»Wollt Ihr schon wieder meine Ehre beleidigen?« Die Backen des Venezianers blähten sich angriffslustig.
Giacomo kicherte, was seinen Schwager dazu brachte, ihn unsanft anzurempeln.
»Natürlich nicht.«
»Außerdem ist nicht genug Platz in unserem Tross. Es tut mir leid.«
Rosas Finger beruhigte sich wieder. Sie atmete auf. Was war nur los in letzter Zeit? Früher hatte ihr Finger doch nur äußerst selten reagiert. Vielleicht war es gar nicht mehr so, dass ihr Finger kalt wurde, wenn jemand log. Vielleicht hatte es mittlerweile etwas ganz anderes zu bedeuten. Oder einfach gar nichts.
»Nun, wenn das so ist, dann bringe ich meine Tochter in zehn Tagen zum Pellerhaus.«
»Con piacere, es wird mir eine Freude sein. Aber, Signorina Rosa, es wird nicht leicht werden.« Er wandte sich ihrer Mutter zu und ergänzte: »Und ich hoffe nicht, dass Eure Tochter zu den Wehleidigen oder gar Zänkischen gehört. Morgen wird mein Schwager Giacomo persönlich zu Euch kommen, die Fässer abholen und meine Anweisungen übergeben.« Giacomo nickte dazu und deutete eine Verbeugung an.
»Noch eins.« Baldessarini sprach wieder direkt zu Rosas Mutter: »Wenn die Signorina Rosa krank werden sollte oder gar sterben, was Gott verhüten möge, dann erwartet nicht, dass wir deswegen anhalten oder zurückreisen. In diesem Falle
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