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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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erhaltet Ihr einen Brief von mir persönlich, in dem Euch alles erklärt wird.«
    Rosa war überrascht, als ihre Mutter sich plötzlich so gerade aufrichtete, dass sie größer wurde als der Venezianer. »Meine Tochter, Signore Giuseppe Baldessarini, wird nicht sterben!« Ihre Augen funkelten wie das Wasser der Pegnitz in der Sonne. »Nicht auf dieser Reise. Nicht, wenn es noch irgendeine Gerechtigkeit gibt auf dieser Welt.« Damit wandte sich ihre Mutter zur Tür, und den Venezianern blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
    Als die Mutter wieder zurück in die Küche kam, schüttelte sie den Kopf.
    »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dich alleine mit diesen … diesen Tagedieben ziehen zu lassen, die ihr Geld nicht mit ihrer Hände Arbeit, sondern auf Kosten ehrlicher Handwerker verdienen. Aber was sonst, was denn sonst …«

8. Kapitel
     
    I n dieser Nacht wälzte sich Rosa hin und her, ohne Schlaf zu finden. Sie schwitzte unablässig, weil es unerträglich heiß war und sie sich immer wieder fragte, wie sie noch zu Geld kommen könnte.
    Am liebsten wäre sie wie sonst hinunter zur Pegnitz gelaufen, aber der Knöchel tat ihr immer noch zu weh. Trotzdem, dachte sie, ich kann nicht schlafen und nicht länger hier liegen, ich werde in die Werkstatt gehen. Jemand musste die Fässer mit den Karten für den Venezianer vorbereiten, und ihre Mutter war schon mehr als genug damit beschäftigt, sich um den Proviant und Rosas Kleidung zu kümmern.
    Rosa humpelte die Stiege hinab in die Werkstatt des Vaters, in der sie sich ihm immer noch nah fühlte. Durch die kleinen Scheiben kam etwas Mondlicht herein, das die Druckstöcke in fahles Licht tauchte. Rosa setzte sich an das große Schreibpult, an dem ihr Vater seine Entwürfe gezeichnet hatte. Zusammen mit ihr und Dorothea hatte er hier die Schedel’sche Weltchronik und das Welttheater des Ortelius studiert, ihnen das Blumenbuch der Sibylla Merian gezeigt und so ihre Aufmerksamkeit für die kleinen Details geweckt.
    Und wann immer seine Töchter ihn bei der Arbeit gestört hatten, niemals war er ungeduldig oder laut geworden wie der Goldschmied von gegenüber.
    Rosa legte ihren Kopf auf den Tisch und bildete sich ein, ihren Vater zu riechen. Sein leises, warmes Lachen zu hören, wenn eine von ihnen etwas gesagt hatte, das ihn überraschte.
    Sie richtete sich auf und ließ ihren Blick durch die halbdunkle Werkstatt wandern, über das Regal mit seinen vielen Büchern, vor die er eine Weltkarte gehängt hatte. Dort drüben war der Tisch, an dem das Papier geschnitten wurde. Darauf lag die riesige Schere, deren Klingen halb so lang waren wie Rosas Beine und die sie auch jetzt kaum an den Holzgriffen zu halten vermochte. In der Ecke stand das Leimfass mit schwarz gefärbtem Knochenleim, in das Rosa als Dreijährige hineingefallen und erst in letzter Sekunde von Toni gerettet worden war. Zwei Jahre später hatte sie dann die drei Lagen Papier zusammenkleben dürfen. Das war eine wichtige Aufgabe, denn die Rückseite der Karte musste ganz dicht sein, nichts von der Vorderseite durfte hindurchschimmern, sonst waren die Karten unbrauchbar.
    Aber am liebsten hatte sie als kleines Mädchen die fertig gedruckten Karten nachkoloriert, jedenfalls so lange, bis der Vater ihr gezeigt hatte, wie man einen Holzdruck anfertigt.
    Doch als sie dann erkennen musste, wie stümperhaft ihr erster Versuch, ein Kartenbild in den Druckstock zu schneiden, war, hatte sie voller Zorn ihr erstes Bild zerfetzt, was ihren Vater aber nur zu einem milden Kopfschütteln veranlasst hatte. Geduld, meine Tochter, Geduld, das ist das ganze Geheimnis – und Übung.
    Und jetzt, wo war er jetzt?
    Nicht hier.
    Nicht in Nürnberg.
    Nirgends.
    Alles, was von ihm geblieben war, war in diesem Raum.
    Rosa griff nach dem Kartenspiel mit den Heiligen, das für die Mutter die reinste Blasphemie war, sich aber in ganz Europa verkauft hatte wie gepökelte Heringe im großen Krieg.
    In ganz Europa.
    Sie atmete tief durch. Indien war so weit weg. Was, wenn sie niemals mehr zurückfinden würde, ihr Neffe oder sie selbst gar stürbe? Oder, das Allerschlimmste für ihre Mutter und die Schwestern, wenn sie auf dem Rückweg stürbe und ihr kleiner Neffe ganz allein wäre, ohne zu wissen, wo er hinmusste? Oder wenn Dorothea ihn ihr nicht mitgeben würde?
    Ja, und was wäre, wenn dir morgen der Kopf abfaulte, Rosa, oder wenn die Sonne nie mehr aufginge? Beinahe konnte sie ihren Vater lachen hören.
    Es gibt immer mehr als

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