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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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eine Möglichkeit , hatte ihr Vater gesagt, aber wenn du zweifelst, wenn du an dir zweifelst, dann hast du schon verloren.
    Sie wollte nicht verlieren. Nicht dieses Spiel.
    Sie legte die Karten ab, bettete den Kopf auf ihre Arme und schlief mit den Gedanken an ihren Vater ein.
    Rosa erwachte erst, als sie in der Dämmerung unsanft wach gerüttelt wurde.
    »Was hast du hier unten zu suchen?«, fragte ihre Mutter.
    Rosa rieb sich kräftig die Augen und hoffte so, die restlichen Traumbilder zu verscheuchen. Sie war auf einem großen Segelschiff gewesen, war die Takelage nach oben geklettert, immer auf der Flucht vor jemandem, hatte sich dann in den Ausguck gerettet, aber just als sie dachte, sie wäre in Sicherheit, war ihr Verfolger plötzlich auch im Ausguck. Und nun endlich erkannte sie ihn – es war der Spitzbärtige in den Kleidern von Baldessarini. Er versuchte, sie hinabzustoßen.
    Zum Glück hatte die Mutter sie geweckt, bevor sie ins Meer gestürzt war. Ein schaumig tobendes Meer, das von oben ausgesehen hatte wie ineinander verdrehte, sich selbst verschlingende, kämpfende Schlangenungeheuer.
    »Ich war in Venedig«, stammelte Rosa, die nur langsam zu sich kam.
    Die Mutter schüttelte den Kopf, fühlte die Stirn von Rosa. »Aber was redest du da. Nein, du hast kein Fieber. Zeig mal den Knöchel.«
    Rosa hob ihr Bein und streckte ihrer Mutter den Fuß entgegen, doch dabei musste sie ständig an den Spitzbärtigen denken.
    »Es sieht schon viel besser aus als die letzten Tage.« Die Mutter war zufrieden. »Heute werden wir noch etwas Arnika darauf geben, dann wird der Fuß endgültig abschwellen. Wenn diese Hitze nicht wäre, wäre er schon lange wieder normal. Wir wollen jetzt frühstücken. Es gibt noch vieles vorzubereiten für deine Reise.«
    Rosa, die von ihrem Traum immer noch benommen war und sich nichts mehr wünschte, als dass die Mutter sie in die Arme nehmen würde, bildete sich ein, dass ihre Mutter ihrem Blick absichtlich auswich und sich nur allzu gern Toni zuwandte. »Ist die Milch für den Brei schon warm?«, fragte sie, dann drehte sie ihren Kopf und rief freundlich nach oben: »Eva! Maria!«
    Rosa stand da wie gelähmt. Sie hatte so gehofft, dass ihr Einsatz, um die Familie zu retten, sie etwas enger zusammenrücken lassen würde, aber die Fürsorge der Mutter galt auch jetzt nicht ihr, sondern den anderen. Und letztlich war ihr Einverständnis zu der Reise nach Indien auch nur dieser Fürsorge zuzuschreiben. Ihre Mutter hatte Angst, dass sie alles verlieren und auf der Straße landen würden, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie ihre verhexte Erstgeborene für dieses Opfer mehr liebte.
    »Eva! Maria!«, wiederholte Toni, die den Brei fertig hatte und auf dem Tisch in die Schüsseln verteilte.
    Maria kam allein die Stiege herunter. »Eva fühlt sich nicht recht wohl«, wisperte sie und schielte noch auffälliger als sonst.
    »Warum flüsterst du?«, fragte die Mutter und stand auf.
    »Ich hab Halsweh«, krächzte Maria, »und Eva auch, aber die kann gar nichts mehr sagen.«
    Die Mutter sprang auf und rannte die Stufen nach oben, war aber schnell wieder zurück.
    »Toni, setz Wasser auf, die beiden haben sich den Hals verkühlt.« Sie stöhnte. »Wie sie das bei der Hitze angestellt haben, ist mir ein Rätsel.«
    Rosa hatte den Verdacht, es war ihrer Mutter sehr recht, dass sie in ihren Kräutern herumsuchen und ihr ausweichen konnte.
    »Verbascum thapsus«, murmelte die Mutter vor sich hin, »die Königskerz’ lindert den Halsschmerz.«
    Rosa stocherte in ihrem Brei und fragte sich, was man wohl in Indien zum Frühstück aß. Gebratene Elefanten … Rosa musste gegen ihren Willen lächeln. Nein, Dorothea hatte in ihrem Brief von all den süßen Früchten erzählt, die es dort gab. Aber sie hatte auch erzählt, wie schmutzig alles war und dass Menschen auf der Straße starben, schlimmer als Hunde, die keiner haben will.
    Rosa stellte sich vor, ihr Neffe müsse Dorothea sehr ähnlich sein, denn ihre Schwester hatte ihn als gut gelauntes Kind beschrieben, das immerzu Essen in sich hineinstopfte. Und wenn er gar nicht fortwollte von seiner Mutter, gar nicht mitgehen mit einer Tante, die er gar nicht kannte?
    Ich werde hinfahren und es herausfinden, dachte Rosa. Sie kratzte die Schüssel aus und machte sich daran, zusammen mit Toni abzuspülen.
    Sie hatten gerade erst angefangen, als es an der Haustür klopfte.
    Es war Giacomo, der mit einem Bedienten und Karren gekommen war, um die zwei

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