Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Fass Karten mitzunehmen. Rosa wollte ihn gleich in die Werkstatt des Vaters führen, aber so weit kam es gar nicht. Als Giacomo Rosa erblickte, legte er die Finger an die Lippen, dann verbeugte er sich tief, berührte seine Brust, als hätte er schreckliches Herzklopfen, umtänzelte Rosa, als sei sie eine Sonne, unter deren Strahlen er aufblühen würde, während Toni diesen Auftritt misstrauisch beäugte.
Er ging weiter zum Tisch, wo noch Marias unberührter Teller mit Brei stand, rieb sich den Bauch und sog seine Wangen ein und schielte flehentlich auf den Brei, sodass er wie ein verhungerter Bettler wirkte, was zusammen mit seiner eleganten Kleidung grotesk aussah.
Jetzt mussten Toni und Rosa schallend lachen, und sie gaben ihm einen Löffel, um zu sehen, ob er den Teller leer essen würde. Giacomo setzte sich aber nicht einfach so, sondern verbeugte sich viele Male und nahm erst dann umständlich auf dem Stuhl Platz.
Rosa und Toni sahen sich an.
»Warum benimmt er sich so merkwürdig?«, fragte Toni.
Rosa zuckte mit den Schultern.
»Reichlich jung, dieser Milchbart, für einen Kompagnon«, befand Toni und musterte Rosa scharf. »Er gefällt dir …«
Rosa schüttelte den Kopf. Was Toni sich da wieder einbildete. Dieser Milchbart könnte ihr jüngerer Bruder sein.
Toni ignorierte Rosas Kopfschütteln und flüsterte: »Unter allen Torheiten ist die erste Liebe die, die den Weibern den meisten Kummer bereitet. Einer wie der und eine wie du – das wäre wie ein Pfau und eine Amsel im selben Nest.« Toni verdrehte vielsagend die Augen.
Die Mutter kam wieder die Stiege herunter und beobachtete den Venezianer am Küchentisch, der den Brei so schnell in sich hineinschaufelte, als wäre er wirklich kurz vor dem Verhungern.
Rosa staunte nicht schlecht. Als Giacomo bemerkte, dass die Mutter gekommen war, sprang er auf und verbeugte sich, als wäre sie eine Gräfin.
Ihre Mutter winkte ungeduldig ab. »Esst ruhig zu Ende! Es freut mich zu sehen, dass Ihr eine einfache Speise zu schätzen wisst.«
Rosa hielt ihrer Mutter das Stück Papier hin. »Er hat die Liste mitgebracht.«
Die Mutter griff danach. »Mach du die Fässer mit den Karten fertig. Ich kümmere mich um alles andere.«
Rosa begab sich unverzüglich in die Werkstatt ihres Vaters, wo sie in der Nacht schon das erste Fass fast fertig gepackt hatte. Es machte sie immer wieder stolz, dass die Karten ihres Vaters in die ganze Welt exportiert wurden. Er hatte es mit der Qualität seines Papiers erklärt, das seine Karten haltbarer machte als andere. Dafür hatte er lange an der Beschaffenheit des Leims getüftelt, der die drei Lagen Papier für die Ewigkeit zusammenhalten sollte.
Rosa aber glaubte, sein Erfolg lag in der Feinheit seiner Kupferstiche. Sie waren dermaßen exakt und detailliert, dass sogar einige Fürsten angesichts seiner Spielkarten ein Porträt bei ihm bestellt hatten.
In das erste Fass hatte sie die exotischen Spiele ihres Vaters gepackt. Die mit den Tieren – Elefanten, Reiher, Leoparden und Affen – und die mit den Königen. Außerdem auch welche von denen, die er heimlich hergestellt hatte, immer dann, wenn die Mutter außer Haus war: das Kartenspiel mit Heiligen und eines mit den sieben Todsünden. Für das zweite Fass hatte Baldessarini ganz gewöhnliche Karten bestellt. Die Karten mit lateinischen, deutschen und französischen Farben, also Becher, Schwerter, Keulen und Münzen, dann Herz, Eichel, Schelle und Blatt. Und schließlich Treff, also Kreuz, Pik, Herz und Karo.
Während sie die französischen Kartenspiele in das Fass sortierte, bewunderte Rosa wie schon so oft die Damenkarten.
Warum wohl im französischen Blatt eine Dame abgebildet war, nicht aber im lateinischen oder deutschen? Die hatten zwar neben den zehn nummerierten auch drei Bildkarten, aber das waren der König mit Ober- und Unteroffizieren, beziehungsweise Könige mit Rittern und Knappen.
Sie hatte ihren Vater mehrfach dazu befragt. Wenn er übel gelaunt gewesen war, dann hatte er behauptet, das sei nur ein Trick seiner schärfsten Konkurrenten gewesen, der elenden französischen Kartenmacher in Rouen und Lyon, um davon abzulenken, dass sie mit der Reduzierung auf die zwei Farben Rot und Schwarz – also Karo und Herz, Treff und Pik – viel Geld bei der Herstellung sparten.
Wenn er besserer Stimmung war, dann zitierte er aus »Der Schule der Frauen«, einem Theaterstück von Molière, den er sehr verehrt hatte: Doch da ein Weib uns zufällt, wie’s das
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