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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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dem Karren untergebracht waren. Sie kippten ganz hinunter und zerschellten am Boden.
    Carlo war abgesprungen und schirrte das sich wild aufbäumende Pferd ab, und er benötigte seine ganze Körperkraft, um es zu bändigen. Währenddessen kletterten Rosa und Siranush vom schief hängenden Karren herab.
    »Beeilung, Carlo, gib Rosa das Pferd! Rosa, reite so schnell du kannst – wir halten den Kerl auf.«
    »Halt«, grölte ihr Verfolger. »Ihr sollt stehen bleiben.«
    Carlo und Siranush halfen Rosa auf das ungesattelte Pferd. Diese verfluchte den Reifrock und wünschte, sie hätte Hosen an – und wüsste, wie man reitet.
    Wieder ein Schuss.
    Siranush zuckte zusammen.
    Vom Rücken des Pferdes aus konnte Rosa den dunklen Fleck sehen, der sich auf dem Rücken der Armenierin ausbreitete.
    »Nein!« Rosa schrie auf und versuchte, wieder abzusteigen.
    »Bitte, Achtschigges, ich hab dich nicht zusammengeflickt, damit du jetzt aufgibst. Geh, geh und hole deinen Neffen, zeig’s dem verdammten Rat in Nürnberg, und rette deine Familie! Verschwinde, mach schon!«
    Siranush brach zusammen. Carlo stützte sie und heulte dann auf wie ein verwundeter Wolf.
    Der Verfolger legte an, musste Pulver nachfüllen, Rosa sah zu ihm hin. Sollte er doch schießen, ihr Leben war so oder so verflucht.
    Da hörte sie Siranush flüstern. »Sei meine Tochter!«
    Der Verfolger legte an. Rosa liefen die Tränen herab. Sei meine Tochter … Was meinte Siranush damit?
    »Carlo«, stammelte Siranush, »tu doch was!«
    Der Verfolger legte seinen Zeigefinger um den Hahn, korrigierte nach, zog durch.
    Carlo schlug dem Pferd mit der einen Hand mit voller Kraft auf die Flanke, während er Siranush mit der anderen Hand stützte. Das Tier machte einen Satz zur Seite, der Schuss knallte ins Leere, dorthin, wo Rosa eben noch gewesen war.
    Rosa konnte sich auf dem nervösen Pferd nur schwer festhalten und versuchte es zu beruhigen. »In jedermanns Herz schlummert ein Löwe …«, Siranush war kaum noch zu verstehen, »… und jetzt verschwinde endlich. Carlo und ich werden es auch ohne dich schaffen.« Blut tropfte aus ihrem Mundwinkel. Sie schloss die Augen.
    Carlo schluchzte laut, legte Siranush behutsam auf den Boden, zog den Dolch aus ihrem Ärmel und aus seiner Lederscheide, wandte sich schließlich zu dem Verfolger um, stürmte auf ihn zu, und dieser, weil er noch mit Nachladen beschäftigt war, sah ihn zu spät. Carlo schlug ihn zu Boden und rammte ihm das Messer mitten ins Herz. Dann wischte er das Messer an den Kleidern des Mannes ab, rannte zurück zu Rosa, steckte den Dolch wieder in die Lederscheide und reichte ihn ihr hoch. Rosa beugte sich ihm entgegen und nahm es an sich.
    »Du hast gehört, was Siranush gesagt hat: Sei ihre Tochter, sei eine Löwin! Und jetzt reite los! Verschwinde!«
    Er kniete sich neben Siranush, bettete sie in seine Arme und wiegte sie hin und her wie ein krankes Kind.
    Tränenblind schob sich Rosa den Dolch in das Mieder ihres ›Engel der Wahrheit‹-Kostüms und klammerte sich an der Mähne des Pferdes fest. Alles, was Siranush ihr erzählt hatte, aber mehr noch das, was die Armenierin für sie getan hatte, lastete auf ihr, machte ihr Herz so schwer, dass sie kaum noch atmen konnte. Doch dann dachte sie an Siranushs letzte Worte und an ihre Aufgabe, und so ritt sie davon, erst langsam, dann immer schneller und schneller.

19. Kapitel
     
    R osa wusste kaum, wie sie sich auf dem Pferd halten sollte, am liebsten hätte sie angehalten und den Unterrock mit den Reifen ausgezogen, aber sie wusste nicht, wie sie das Tier zum Stehen bringen konnte. Ihre Augen waren blind von Tränen, ihre Nase zugeschwollen, weshalb sie durch den Mund atmen musste. Das Haar war von der Flucht und dem starken Wind aufgelöst und hing ihr wirr ins Gesicht, was es noch schwieriger machte zu sehen, wohin sie ritt.
    Was soll jetzt werden?, dachte Rosa. Ich hätte bei Siranush bleiben sollen. Hätte ihr helfen müssen, so wie sie mir. Ich muss zurück!
    Sie zog die Zügel leicht an und gab beruhigende Laute von sich. Doch das Pferd reagierte nicht, sondern trabte immer weiter, als wüsste es, wo es hinwollte.
    Rosa zerrte stärker an den Zügeln und gab sich alle Mühe, trotz des Reifrocks ihre Knie in die Flanken des Pferdes zu pressen. Und tatsächlich, das Tier verlangsamte seinen Trab. Rosa nahm die Zügel noch enger, bis es zum Stehen kam.
    Wenn ich jetzt abspringe, um den Reifrock auszuziehen, komme ich nie wieder hoch, sagte sie sich und

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