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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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wurde. Eine Frau mit gewaltigem Busen umarmte ihn und überschüttete ihn dann mit einem Schwall italienischer Worte. Doch als sie Rosa bemerkte, hörte sie abrupt damit auf, stemmte ihre dicken Arme in die Taille, musterte Rosa von oben bis unten und stellte in scharfem Ton Fragen an den Flößer.
    Anscheinend konnte er diese zur Zufriedenheit der Frau beantworten, denn sie wurden hineingebeten und durften sich setzen.
    »Meine Schwägerin Luisa«, erklärte er. »Sie stammt aus Sizilien und hat ein gnadenloses Temperament. Aber mein Bruder liebt so was, findet, die Weiber aus dem Sarntal seien nicht feurig genug für ihn. Ich habe ihr gesagt, du seiest eine deutsche Fürstin, die wir vor bösen Räubern gerettet haben, und jetzt schaut sie, ob sie ein paar Kleider für dich übrig hat.« Er grinste.
    Rosas Gedanken kreisten nur darum, was sie sagen sollte, wenn er sie nach seiner Frau fragte. Wenn sie nur wüsste, ob die beiden Kinder hatten, dann könnte sie behaupten, seine Frau hätte nach diesen gefragt.
    Ein junges Mädchen brachte Becher und einen Tonkrug mit rotem Wein, den Rosa gierig trank. Er schmeckte so gut nach Johannisbeeren, Kirschen und Nüssen, dass Rosa verblüfft gleich noch einen großen Schluck nahm.
    »Kommt auch aus Sizilien …«, sagte der Mann, der seinen Becher schon ausgetrunken hatte und sich den Mund am Ärmel abwischte.
    Sie könnte behaupten, die Frau hätte erklärt, sie würde ihren Mann nicht lieben, und das hatte sie als Lüge erkannt. Aber würde er ihr das glauben?
    Luisa stand vor ihnen, redete auf sie beide ein, nahm Rosa dann am Arm und zerrte sie in eine winzige Kammer neben der Küche, wo sie ein dunkelgraues Leinenkleid und eine weiße Haube ausgebreitet hatte. Außerdem hatte sie Kamm und Bürste und einen silbernen Handspiegel bereitgelegt. Gerade brachte das junge Mädchen noch eine Porzellanschüssel mit gewärmtem Wasser, ein Handtuch und Seife. Rosa fehlten die Worte, so gerührt war sie ob dieser unerwarteten Fürsorge. Sie hatte Tränen in den Augen und konnte nur »Grazie, grazie« stammeln. Dann ließen die beiden sie allein.
    Rosa nahm den Spiegel und schaute nun doch mit ängstlichem Zögern nur sehr langsam hinein. Beinahe hätte sie ihn fallen gelassen, denn ihr Gesicht sah ähnlich grauenhaft aus wie das von Carlo. Überall waren Schwellungen, die sich rund um die Einstiche rotgelb verfärbt hatten. Ihre Augen wirkten winzig, weil die Stiche in den Augenbrauen und Schläfen immer noch am stärksten geschwollen waren. Sie hätte dringend die Ringelblumensalbe ihrer Mutter gebraucht oder armenische Erde. Ihre Nase sah aus wie die einer alten Erdhexe, vor allem, weil auf einer Nasenseite mehr Stiche waren als auf der anderen. Das einzig Tröstliche war ihr Mund. Ihre Lippen waren unversehrt geblieben und schimmerten beinahe unanständig rosa.
    Genug! Sie lebte. Rosa schaufelte sich Wasser ins Gesicht und wusch sich gründlich, dann kämmte sie den Unrat aus ihrem strähnigen Haar und versuchte es mit den vier glitzernden Kämmen, die sie noch hatte, so aufzustecken, dass es unter die Haube passte. Dann streifte sie die Reste ihres ›Engel der Wahrheit‹-Kleides ab, nur Hemd und Mieder behielt sie und die reichlich ramponierten Handschuhe. Sie überprüfte, ob das Lederbeutelchen mit dem Brief und dem Knopf noch fest angenäht war, überlegte, wo sie den Dolch am besten verwahren konnte, fand dann aber den Platz im Mieder doch am passendsten.
    Schließlich schlüpfte sie in die Schuhe aus Goldbrokat, was alles zusammen eine merkwürdige Zusammenstellung ergab. Doch das frische Leinen fühlte sich angenehm kühl an und roch sauber. Und mit der Haube fühlte sie sich wieder wie eine anständige Frau.
    Mittlerweile war ihr schwindelig vor Hunger, auch weil sie den Wein so schnell getrunken hatte. Als sie zum Tisch zurückkam, standen die noch brutzelnden Makkaroni schon bereit, daneben lag duftendes Weißbrot, so flaumig weich, wie sie es noch nie gegessen hatte. Es schmeckte viel besser als das Lavash-Brot der letzten Wochen.
    Der Mann hatte seine Portion schon fast aufgegessen und sah sie erwartungsvoll an. »Und jetzt verrate es mir.«
    Rosa schaufelte ein paar Makkaroni in sich hinein.
    Gib ihm eine gute Antwort, der Mann hat es verdient. Ja, so wie die Frau mit dem toten Kind, wisperten die Stimmen in ihrem Kopf durcheinander. Ohne deine Lüge wäre der Wegelagerer nicht auf dich aufmerksam geworden, niemand hätte »Hexe« geschrien, und du würdest

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