Die Hexengabe: Roman (German Edition)
konnte.
Offensichtlich war auch dieser Palast direkt am Canal Grande und mit einem Kahn sehr leicht vom Fondaco dei Tedeschi zu erreichen, doch zu Fuß musste sie durch ein Gewirr von Gassen, um dorthin zu gelangen.
Als Rosa Stunden später vor dem großen Palast stand, verließ sie der Mut. Er ruhte wirklich, wie Giacomo gesagt hatte, auf großen, schneeweißen Säulen und war wesentlich größer als die Paläste rechts und links daneben. Seine Fenster waren schimmernde Blumenbilder aus Glas, die Bögen der oberen Etagen waren mit gold und blau schimmernden Bändern bemalt, und über der Tür thronte, in Stein gehauen, das gewaltige Wappen der Lontanos: ein Löwe auf einem Schild mit gekreuzten Degen und Eicheln in einem gezackten Herz.
Sie konnte doch nicht einfach in diesen prächtigen Palast gehen und ihren ungeheuerlichen Verdacht gegen Caterinas Ehemann äußern …
Während Rosa unschlüssig auf den Stufen des Palastes stand, wurde es ständig dunkler.
Wenn sie doch wenigstens nicht so krank aussehen und edlere Gewänder trüge, dachte sie, dann würde man ihr mehr Gehör schenken. Jetzt sei nicht so feige, Rosa, forderte sie sich schließlich selbst auf. Giacomo hat dein Leben gerettet, also geh endlich hinein.
Sie klopfte an die unter dem pompösen Wappen merkwürdig klein wirkende Tür des Palastes.
Ihr wurde sofort geöffnet, beinahe, als hätte sie jemand von innen beobachtet.
»Si?« Eine schlampig in Schwarz gekleidete Alte musterte sie, und als Rosa nichts antwortete, schlug sie ihr prompt die Tür vor der Nase zu.
Verblüfft starrte Rosa die Tür an. Sie hatte erwartet, dass ihr ein hochnäsiger Diener in prächtiger Livree öffnete. Überhaupt hätte sie einen Dolmetscher mitbringen sollen, denn ihr dürftiges Italienisch reichte bei Weitem nicht aus, um Caterina zu berichten, was passiert war. Weil Giacomo so gut Deutsch gesprochen hatte, war sie davon ausgegangen, dass jeder im Palast seiner Familie sie verstehen würde.
Sie musste also zurück zum Fondaco dei Tedeschi, dort einen Übersetzer auftreiben und zurückkommen. Aber wie sie das ohne Geld bewerkstelligen sollte, war ihr ein Rätsel.
Rosa wandte der Tür den Rücken zu und stieg müde die Treppen hinunter. Hatte Giacomo nicht von einer alten Amme erzählt, die Germanin gewesen sei? Konnten vielleicht doch alle Kinder Deutsch sprechen?
Sie musste es einfach noch einmal probieren. Diesmal würde sie sagen: Sono un’amica di Giacomo, ich bin eine Freundin von Giacomo und habe etwas für seine Schwester Caterina, ho qualchosa per sua sorella Caterina. Das klang schon in ihren Ohren lächerlich, aber sie musste es versuchen.
Sie klopfte wieder und stammelte ihren italienischen Satz vor der Alten, die ihr gerade wieder die Tür vor der Nase zuschlagen wollte, als jemand hinter ihr die Treppe heraufkam.
»Cosa c’è?«, fragte eine jungenhafte Stimme.
Als Rosa sich umdrehte, machte ihr Herz einen kleinen Sprung. Der junge Mann sah aus wie ein kleiner Giacomo. Er war höchstens zehn Jahre alt, gekleidet in samtene Kniehosen und eine schwarz-rote, lange Jacke.
»Sprichst du Deutsch?«, fragte sie voller Hoffnung, und als der Knabe nickte, flehte sie ihn an.
»Ich bitte dich eindringlich, lass mich mit Caterina di Lontano sprechen, ich habe eine wichtige Nachricht für sie … von Giacomo.«
»Onkel Giacomo ist doch tot.«
»Ich weiß. Ich war dabei, als er starb.«
»Nun, es wird Mama freuen, endlich mehr über seinen Tod zu erfahren. Kommt mit. Ich bin übrigens Paolo Gustavo Eduardo Baldessarini di Lontano, und wie nennt man Euch?« Der Junge sprach fließendes Deutsch und reichte ihr galant seinen zarten Arm.
Rosa starrte ihn fassungslos an. »Ich bin Rosa Sibylla Zapf. Wie kommt es, dass du so gut Deutsch sprichst?«
»Mein Vater wollte es so. Wir sind Kaufleute. Kaufmänner sollten viele Sprachen sprechen, damit sie nicht von anderen Händlern reingelegt werden. Ich spreche auch Französisch, aber nicht ganz so gut.« Der Junge grinste und sah dabei Giacomo dermaßen ähnlich, dass Rosa beinahe angefangen hätte, zu weinen.
»Wer ist denn dein Vater?«
»Giuseppe Baldessarini.«
»Und wo ist er?« Schäm dich, Rosa, ein Kind auszuhorchen!
»Er ist beim Senat.«
Er war also nicht tot, sondern hatte den Überfall überlebt!
»Papa ist zum neuen Botschafter für Frankreich gewählt worden, aber er will das nicht machen, weil man da so viel Geld braucht. Die Leute sagen, allein für eine kurze Reise zum Papst
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