Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Wortschwall ergoss sich über den Jungen.
Rosa verstand, dass er mehrfach mit »No«, also »Nein«, antwortete, aber seine Mutter blieb unerbittlich.
Schließlich wandte sich Paolo wieder an Rosa. Seine dunklen Augen wirkten wie große Löcher in seinem blassen Gesicht.
»Meine Mutter sagt, sie kann Euch nicht vertrauen. Laut meinem Vater hat niemand den Überfall überlebt. Sie möchte wissen, ob Ihr bereit seid, einen Beweis für Eure Aufrichtigkeit zu liefern.«
Und erst in diesem Moment, als sie die Augen des Jungen betrachtete, wurde Rosa klar, was sie im Begriff war, zu tun. Sie wollte allen Ernstes dieses freundliche, unbefangene Kind übersetzen lassen, dass sie seinen Vater für einen Mörder hielt. Oder was genau wollte sie der Contessa sagen? Sie hatte nicht einmal einen Beweis für ihren Verdacht. Nun, zunächst konnte sie ihr erzählen, wie Giacomo gestorben war.
»Aber will deine Mutter denn nicht zuerst wissen, was ich ihr zu sagen habe?«
Der Knabe schluckte. »Nein, sie will zuerst einen Beweis für Eure Aufrichtigkeit.«
Rosa griff sich ins Mieder und holte den Knopf von Giacomos Jacke aus dem Lederbeutelchen heraus, betrachtete ihn kurz, legte ihn auf ihre Handfläche und neigte sich zu Caterina.
Die griff danach, hielt ihn sich vor die Augen, als ob sie kurzsichtig wäre, dann verzerrte sich ihr Mund, ihr fliehendes Kinn begann zu zittern, doch ihre Augen blieben trocken. Sie flüsterte ihrem Sohn etwas zu, der seufzte.
»Sie sagt, Ihr könnt den Knopf überall gefunden haben.« Er zögerte einen Moment und wisperte beinahe tonlos und hastig: »Aber ich glaube Euch, solche Knöpfe hatte nur mein Onkel, und sie wurden mit Feenhaaren an seiner Jacke angenäht.« Dann lächelte er sie so ernst an, dass Rosa ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Er erinnerte sie plötzlich an Eva und Maria, und sie wünschte, die beiden könnten diesen prächtigen Palast sehen. Hoffentlich waren sie wohlauf. Im Winter ging es ihnen immer viel schlechter als im Sommer. Lag vielleicht schon der erste Schnee zu Hause in Nürnberg?
Sie seufzte tief.
Erst die zaghafte Berührung des Knaben an ihrem Arm brachte Rosa zurück zur Contessa.
»Was würde deine Mutter denn von meiner Aufrichtigkeit überzeugen?«
Paolo wurde sehr blass. »Sie … sie … sie möchte …« Er sah zu seiner Mutter, die Rosa mit einem lauernden Blick ansah und dem Jungen dann sehr bestimmt zunickte.
»Dein Haar. Scusi, ich wollte sagen, Ihr Haar.«
Rosa griff sich unwillkürlich an ihren Kopf, fühlte ihr weiches, lockiges Haar, das ebenso zu ihr gehörte wie ihr Hexenfinger. Allerdings war ihr Haar schön.
»Wie viel Haar?«
Der Junge starrte auf seine silbernen Schuhschnallen. »Alles.«
Rosa sprang auf und schritt zum Spiegel über dem Kamin, aus dem ihr das eigene, immer noch hässlich verschwollene Gesicht mit den verkrusteten Einstichstellen entgegenstarrte. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie ohne ein einziges Haar auf dem Kopf aussehen würde. Grauenhaft.
Plötzlich erinnerte sie sich an Giacomos Worte: ›Für deine blonden Haare würde sie töten. Alle Venezianerinnen träumen davon, blond zu sein.‹
Was hatte sie noch außer ihrem Haar? Nichts. Sie brauchte Geld. Sie warf einen Blick auf die Contessa, die gierig Rosas Haare betrachtete.
Ich kann ihr mein Haar nicht als Vertrauensbeweis anbieten, dachte sie, trotz allem, was mit Giacomo passiert ist. Ich muss daran denken weiterzukommen. Er hat gesagt, Venezianerinnen würden für mein Haar töten. Dann verlange ich nicht nur einen, sondern drei venezianische Golddukaten dafür.
»Sag deiner Mutter, zum Zeichen meines Vertrauens werde ich ihr mein Haar verkaufen. Ich verlange drei Goldzecchinen dafür. Und ihre Unterstützung bei meiner Weiterreise.«
Rosa seufzte. Sie musste es tun, für ihren Neffen, für ihre Mutter und die Zwillinge. Es gab Hauben, es würde wieder wachsen, versuchte sie sich zu beruhigen. Es war nur ihr Haar, nicht ihr Leben, von dem sie sich trennen musste. Und mit Caterinas Hilfe würde sie auch sicher schneller vorwärtskommen.
Rosa ging zurück zu ihrem Stuhl und dachte bei sich, dass diese Caterina nicht im Ernst glauben konnte, blondes Haar ließe sie besser aussehen. Ihr elfenbeinfarbener Teint würde, umgeben von Blond, krankhaft gelb wirken.
Der Junge übersetzte, und es gab einen heftigen Wortwechsel.
Schließlich nickte Caterina und lächelte Rosa zu, sprang aber dabei schon auf. Giacomos Knopf fiel dabei zu Boden,
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