Die Hexengabe: Roman (German Edition)
wo er achtlos liegen blieb.
Dann klingelte sie mit einer Glocke, die Tote zum Leben erweckt hätte, und ließ eine ganze Litanei von Befehlen in stakkatoartigem Tempo auf die eilig heranstürzenden Dienern herabprasseln, von der Rosa kein einziges Wort verstand.
Plötzlich wurde ihr Hexenfinger kalt. Sie schüttelte ihre Hand, um sie zu beruhigen. Was sollte das?
Der Junge sah zu seiner Mutter, dann wieder zu Rosa.
»Man wird Euch ein Bad bereiten, das Haar zunächst waschen, dann abschneiden. Danach wird sie Euch das Gold aushändigen, mit Euch über Giacomo reden und alles tun, um Eure Weiterreise zu beschleunigen.«
Ihr Finger wurde wieder wärmer, Rosa beruhigte sich.
Der Junge bückte sich nach dem Knopf. »Darf ich den haben?«
Obwohl Rosa ihn gern behalten hätte, rührte seine schüchterne Frage sie so, dass sie ihm zunickte.
»Seit Onkel Giacomo gestorben ist, hat mir niemand mehr eine Geschichte erzählt.«
»Dein Onkel war ein außerordentlich tapferer Mann. Er hat mir das Leben gerettet.«
»Was ist denn geschehen?«
Rosa räusperte sich, um Zeit zu gewinnen, weil sie nicht einschätzen konnte, was dieser Junge schon von der Welt wusste.
In diesem Moment kam die Alte, die ihr vorhin die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte, packte sie am Arm und führte sie aus dem prächtigen Zimmer zu einer Tür im Flur, die unter einer Tapete versteckt war.
»Aber …« Rosa wollte nicht ohne Paolo mit der Alten mitgehen und wehrte sich.
Paolo wollte zu ihr, doch er wurde von seiner Mutter scharf zurechtgewiesen. Dann klatschte die Contessa wieder in ihre Hände und trieb alle zu größerer Eile an. Daraufhin stürzten noch andere Mägde auf Rosa zu und halfen der Alten, sie aus dem Zimmer zu schaffen.
Warum behandelte man sie dermaßen grob? Plötzlich befielen Rosa große Zweifel, ob sie richtig gehandelt hatte.
Vom Flur führte eine Treppe viele Stufen nach unten, dann ging es durch einen dunklen Korridor in ein Zimmer, das Rosa an die Küche zu Hause erinnerte, aber viel größer war.
Hier befand sich ein Badezuber, in dem schon Wasser dampfte.
Ich werde mich vor dieser ganzen Horde von Weibern nicht ausziehen, dachte Rosa, auch nicht für tausend Zecchinen.
Nachdem sie Caterina gesehen hatte, konnte sie nun zwar verstehen, warum sie nur hässliche Dienerinnen einstellte, aber es war ein merkwürdiges Gefühl, von lauter missgestalteten Frauen umgeben zu sein. Es fühlte sich ganz anders an, als in Carlos entstelltes Gesicht zu schauen. Carlos gesunde Gesichtshälfte hatte so viel Wärme ausgestrahlt. Diese Weiber hier wirkten bösartig.
Rosa fragte sich, ob man bösartig wurde, weil man hässlich war, oder ob es daran lag, dass sie alle zusammen in diesem Haus arbeiten mussten. Oder lag es an ihrer Herrin? Rosa hätte gern gewusst, warum Giacomo seine Schwester so gerngehabt hatte. Für sie sah es nicht so aus, als ob Caterina sehr um ihn trauern würde.
Jedenfalls würde sie nicht zulassen, dass diese Frauen ihren vom Sturz noch malträtierten Körper betrachteten, geschweige denn ihren Hexenfinger entdeckten. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass man sie kurzerhand ertränken würde, wie eine Katze. Das waren schließlich Katholische, und die glaubten noch viel mehr an Hexerei als der Rat in Nürnberg.
Doch ihre Ängste erwiesen sich als unbegründet, denn man ließ ihr die Handschuhe, brachte ihr ein weißes Tuch und gebot ihr, sich zu entkleiden und damit einzuhüllen, bevor sie in den Zuber stieg.
Danach galt alles Interesse nur noch ihren Haaren. Es wurde eingeseift, gespült und eingeseift und wieder gespült. Das Wasser, in dem Rosa lag, war längst eiskalt geworden, und immer noch wurde an dem Haar gearbeitet. Endlich durfte sie aus dem Zuber steigen – sie zitterte vor Kälte. Ihr Haar wurde abgetrocknet, dann bedeutete man ihr, sich wieder anzuziehen.
Rosa zitterte jetzt noch stärker und schaffte es kaum, ihr Mieder anzulegen. Außerdem waren ihre Handschuhe nass, trotzdem wollte sie sie auf keinen Fall ausziehen.
Man führte sie in einen Nebenraum, der ein kleines Fenster hatte.
Der einfache Holzschemel, auf den sie sich setzen musste, stand so, dass sie aus dem Fenster schauen konnte, was aber keineswegs eine Freundlichkeit der hässlichen Weiber war, wie Rosa sofort bemerkte. Im Gegenteil, es war die einzige Wand, an der kein Spiegel befestigt war. Man wollte verhindern, dass sie sah, was passieren würde. Rosa versuchte, sich mit dem Gedanken an das Gold zu beruhigen.
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