Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Egal, wie sie nachher aussehen würde, sie hätte Geld und würde weiterkommen!
Das Fenster stand offen und zeigte auf den Canal. Was Rosa nur daran erkannte, dass sich die Laternen der vorbeigleitenden Gondeln im Wasser spiegelten.
Kaum hatte sie Platz genommen, wurde ein Scheren schwingender Barbier hereingeführt, dessen freundliche Begrüßung für Rosa eine Wohltat war. Er hatte einen prallen Trommelbauch und sah aus wie ein Mann, der gern viel trinkt. Seine Nase war rot und voller geplatzter Äderchen, seine Lippen waren feucht, und um seinen Mund hatten sich vom ständigen Lächeln Falten eingegraben. Er redete in einem schönen Singsang, während er sich an Rosas Haaren zu schaffen machte. Zweimal fragte er die Alte, als könnte er nicht glauben, was sie da von ihm verlangte.
Warum gebärdet sich der Mann so, fragte sich Rosa, was haben diese elenden Weiber ihm gesagt? Sie verfluchte sich dafür, dass sie nicht mehr Italienisch gelernt hatte. Dann begann er kopfschüttelnd, Strähne für Strähne von Rosas Kopf abzuschneiden, so dicht an der Kopfhaut, dass nur winziger Flaum stehen blieb. Das fühlte Rosa, als sie beim ersten Schnitt ihren Kopf abtastete. Die Haare fielen nicht auf den Boden, sondern wurden von den Dienerinnen vorher aufgefangen und in einen seidenen Beutel gestopft.
Rosa kam es so vor, als würde man Strähne für Strähne ihr ganzes Leben auslöschen, und selbst der Gedanke an das Gold verhinderte nicht, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.
Sie versuchte, sich zu trösten. Ihr Haar würde ja wieder wachsen, und wenn sie ihren Neffen in spätestens acht Monaten zum ersten Mal sehen würde, dann wäre es … sie schluchzte, dann wäre es höchstens halb so lang wie ihr kleiner Finger. Das letzte Mal war ihr schönes Haar lange vor der Geburt ihrer Schwestern geschnitten worden. Also vor über vierzehn Jahren.
Der Friseur gab ein paar beruhigende Schmatzlaute von sich, als wäre sie ein störrischer Esel.
Rosa stellte sich vor, wie ihre Mutter sie ansehen würde, wenn sie ohne Haare nach Nürnberg zurückkäme, und es schnürte ihr das Herz zusammen, weil sie die Frage, ob ihre Mutter sie dann vielleicht zum ersten Mal tröstend in ihre Arme schließen würde, nicht mit einem Ja beantworten konnte.
Sie dachte daran, wie liebevoll Siranush von dem blonden Haar ihrer Tochter gesprochen hatte. Arevhat, die Sonnenjungfrau. Rosa betastete ihren Schädel – nur mehr zarter Flaum. Sie weinte jetzt hemmungslos. Es war ihr egal, ob Siranush sie für eine Heulsuse gehalten hätte.
Der Barbier hielt kurz inne und meinte dann mit einem Seufzen: »Se uno xe scarognà ghe piove sul cuło anca se el xe sentà.«
Die Weiber lachten und kicherten, was Rosa noch elender machte. Wenn sie nur eine Ahnung hätte, was der Mann gesagt hatte.
Der Barbier war fertig und kippte etwas Wohlriechendes über Rosas Flaum aus. Die Weiber verschwanden mit dem Haarbeutel, kamen alsbald wieder und reichten ihn dem Barbier zusammen mit einer Silberzecchine.
Rosa nutzte die Gelegenheit, sich in einem der zahlreichen Spiegel anzuschauen. Sie wischte sich die Tränen ab, um sich besser sehen zu können.
Es war grauenhaft. Ihr Kopf war wie kahl, weil ihr Haar so hell war, und sie wirkte verletzlich wie ein nacktes Huhn. Ihre Augen erschienen plötzlich riesig. Niemand sollte sie so sehen, sie war nackter als damals im See mit Siranush. Die Contessa muss mir meine Haube zurückgeben, dachte sie.
Rosa straffte ihre Schultern. Jetzt war es zu spät zu lamentieren. Zumindest würde sie die Contessa klug für ihre Zwecke benutzen, um vorwärtszukommen.
Sie zog die Nase hoch und atmete tief durch. Das Gold! Sie sah sich nach den Dienstboten um, um ihnen zu signalisieren, dass sie vor ihrem Gespräch mit der Contessa unbedingt ihre Haube aufsetzen wollte.
Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, kam die Alte auf sie zu, packte sie am Arm und zog sie zu der Tür, an der man gerade den Barbier verabschiedet hatte.
Rosa schüttelte den Kopf, nein, das hatten diese Weiber falsch verstanden, das war die falsche Tür. Jetzt würde die Schwester von Giacomo ihr Versprechen erfüllen!
Die Alte schrie laut nach den anderen Weibern, die sofort herbeistürzten und ihr halfen, Rosa zur Tür zu zerren.
Sie kämpfte. »Sei eine Löwin«, hatte Siranush gesagt, »sei eine Löwin.« Das werde ich mir nicht gefallen lassen, schwor sich Rosa. Sie wand und wehrte sich, aber die Weiber hingen an ihr wie Pech. Fuß um Fuß zogen und
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