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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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der knurrende Geräusche von sich gab. Sie schritt auf den Brunnen zu, um etwas zu trinken.
    Da, plötzlich, ein Geräusch. Sie war nicht allein in der Dunkelheit. Sie trat näher an den Brunnen. Da war es wieder, beinahe unhörbar. Sie sah sich verstohlen um, konnte aber niemanden sehen, dann beugte sie sich zum Brunnen und benetzte ihren Mund mit Wasser. Da war es schon wieder. Sie richtete sich auf, versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, aber da bewegte sich nichts.
    Doch dann hörte sie vorsichtiges leises Tappen. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Sie musste hier weg, dorthin, wo mehr Menschen waren.
    Rosa rannte rutschend und fluchend, bis sie endlich an einen breiten Kanal kam. Hier flanierten viele Menschen, darunter auch Frauen in gelben Umhängen mit schwindelerregend hohen Schuhen, die Rosa an Stelzen erinnerten.
    Sie kauerte sich auf die Stufe einer steinernen Brücke, die über den Kanal hinüberführte, und versuchte, ruhiger zu atmen. Von dem Steinboden stieg unangenehme Kälte auf, die Rosa spürte, obwohl sie vom Laufen erhitzt war. Wo sollte sie die Nacht verbringen?
    Eine Frau mit Stelzenschuhen ging über die Brücke und trat beiläufig nach ihr, als ob sie sehen wollte, ob Rosa noch lebte.
    »Mortacci tuoi!«, schrie Rosa, was die Frau in dem Umhang aus gelber Spitze nur zu einem Kopfschütteln brachte und in Rosa den Wunsch weckte, ihr den Umhang zu entreißen und sie im Kanal zu ertränken.
    Doch sie blieb erschöpft sitzen. Ihre Beine zitterten noch von der wilden Flucht, und sie hatte Hunger. Und sie hatte keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte.

21. Kapitel
     
    S treitende Frauenstimmen und lautes Möwengeschrei rissen Rosa am nächsten Morgen aus einem traumlosen und tiefen Schlaf. Sie war tatsächlich auf der steinernen Brücke eingeschlafen.
    Als sie nach ihrem Haar tastete, um es in Ordnung zu bringen, erschrak sie, denn sie fühlte nur die kalte Haut ihres Kopfes unter ihren Fingerspitzen. Unwillkürlich duckte sie sich.
    Kahl und mit schmutzigen Kleidern saß sie mitten in Venedig, ohne auch nur einen Groschen. Ihr Magen knurrte laut, und alle Glieder taten ihr weh.
    Sie stand auf und sah sich vorsichtig um, erwartete, dass sich sofort ein Büttel auf sie stürzen würde, wie das in Nürnberg ganz sicher der Fall wäre. Fremde Bettler wurden sofort bemerkt und aus der Stadt gejagt.
    Doch kein Mensch schenkte ihr auch nur die geringste Beachtung, denn auf der Gasse herrschte hektische Betriebsamkeit. Weiber luden Fisch von Booten auf Karren um. Dabei hatten sie Mühe, die vom grauen Himmel herabschießenden Möwen zu vertreiben, die sich die Leckerbissen nicht entgehen lassen wollten.
    Es roch nicht nur nach den feuchten Fischernetzen, sondern auch nach süßem frischem Brot. Rosa lief das Wasser im Mund zusammen, und sie wünschte sich sehnlichst einen Bissen von diesem Brot. Oder einen Haferbrei von Toni mit duftenden Himbeeren …
    Plötzlich durchfuhr Rosa ein schrecklicher Gedanke wie ein Blitz. Wie konnte sie so sicher sein, dass ihre Schwestern und ihre Mutter wohlauf waren und genug zu essen hatten? Und selbst wenn das jetzt noch so war, sollte sie, Rosa, es nicht bald auf ein Schiff schaffen, das nach Indien fuhr, dann würde sie nicht mehr in der Zweijahresfrist zurückkommen, und ihre Familie würde alles verlieren, was ihr Vater aufgebaut hatte.
    Rosa raffte sich trotz ihrer verspannten Glieder auf und machte sich auf die Suche nach einem Brunnen. Sie wagte es nicht, die Weiber mit den Karren anzusprechen, aus Angst, ihr merkwürdiges Äußeres würde dazu führen, dass man sie wegjagte. Sie trug noch immer die völlig verschmutzten Schuhe aus Goldbrokat, was zusammen mit dem ruinierten Leinenkleid der Wirtin aus Verona, den mittlerweile grauschwarzen Handschuhen und ihrem rasierten Kopf, zu dem auch noch das zerstochene Gesicht gehörte, so wirkte, als hätte sie sich all das zusammengestohlen.
    Weil ihr das deutlich vor Augen stand, sah Rosa beständig auf den Boden und versuchte, sich unsichtbar zu machen. Nach einer Weile, als sie merkte, dass allenfalls ihr kahler Kopf den Passanten einen flüchtigen Blick wert war, schritt sie schneller aus, auch wenn sie nicht wusste, wohin sie ging. Die Richtung schien jedoch eine gute Wahl zu sein, denn je länger sie lief, desto lauter wurde es.
    Sie bog um die Ecke, von der all der Trubel zu kommen schien, und war verblüfft. Denn sie erkannte die Brücke auf der anderen Seite, es war die Rialtobrücke. Und,

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