Die Hexengabe: Roman (German Edition)
als sie selbst, tauchte vor ihr auf.
»Wer bist du denn?«, fragte er und glotzte Rosa so neugierig an, dass sie Angst bekam, er würde entdecken, dass sie eine Frau war. Alles war so schnell gegangen, seit sie die Männerkleidung angelegt hatte, dass sie nicht einmal darüber nachgedacht hatte, wie sie heißen wollte.
»Ich bin Carlo, der Gehilfe vom Arzt.«
»Nein, das bist du nicht – der heißt Hermann und hat schwarzes Haar.«
Rosa wurde flau im Magen, all die süßen Teile, die Giacomo ihr mitgebracht hatte, rumorten mit einem Mal wie Steine.
»Ich, ja, ich bin sein Ersatz.«
»Wundert mich nicht. Hat er sich wieder mal geprügelt?«
Rosa nickte beklommen.
»Der Profos wollte ihn gar nicht an Land gehen lassen, weil er immer so viel säuft und sich dann wegen nichts mit jedem in die Haare kriegt. Aber der Schiffsarzt hat ein gutes Wort für ihn eingelegt.«
»Woher weißt du das alles?«, stammelte Rosa.
»Auf Deck bleibt nichts geheim.«
Weil der Junge so freundlich aussah, riskierte es Rosa, ihn zu fragen, wo die Kajüte vom Arzt denn sei.
»Na, hinter dem Großmast, das ist der mit dem Ausguck dran. Da wohnen auch der Kapitän, Passagiere und Offiziere. Das is’ am Schiff wie an Land, die Edlen leben in Saus und Braus, wir Matrosen und Schiffsjungen hausen im Zwischendeck, alle zusammen.«
»Ist meine Jungfernfahrt«, sagte Rosa, und kaum hatte sie das Wort ausgesprochen, überkam sie die Erkenntnis, dass das zwar richtig war, aber sie selbst gar keine Jungfrau mehr war. Aber was kümmert mich das jetzt, dachte sie und sah an ihren schäbigen Männerkleidern herab, ich bringe Kaspar zurück, das ist alles, was zählt.
»Willem!« Eine harsche Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
»Willem, steh nicht rum und halte Maulaffen feil, komm her!«
»Willem, das bin ich«, erklärte der Junge, bevor er sich umdrehte und verschwand.
Sie winkte dem Jungen nach, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne – wahrscheinlich tat niemand an Bord so etwas Albernes – und ging in Richtung Großmast.
Hinter dem Großmast befanden sich ein paar Hütten, vor denen ein kleiner Mann in einer schwarz-weißen Uniform stand, der Rosa durchdringend musterte.
»Du bist offensichtlich neu an Bord.«
Rosa spürte, wie sie rot wurde. »Wie kommt Ihr darauf?«
Der Mann grinste sie jetzt freundlich an. »Weil man für gewöhnlich Haltung annimmt, wenn man vor dem Kapitän steht.«
Rosa hatte das Gefühl, noch röter zu werden. Was für eine Blamage! Wie nahm man denn Haltung an? Sie reckte sich etwas, sodass sie gerader vor dem Kapitän stand.
Der lachte jetzt schallend. »Das wirst du schon noch lernen. Also, wer bist du?«
»Carlo, der neue Gehilfe vom Arzt.« Rosa bemühte sich um eine feste Stimme.
»Eine weise Entscheidung von unserem Profos. Hermann war sowieso nur eine Plage! Dann geh und schau mal nach dem Arzt, der kann Hilfe brauchen.«
Der Kapitän wies auf die elendeste der Kajüten, drehte sich um und schlenderte pfeifend davon.
Sie klopfte an die Tür, aber es kam keine Antwort. Während sie noch unschlüssig davorstand, weil sie nicht wusste, ob sie einfach hineingehen sollte oder nicht, tippte ihr jemand auf die Schulter.
Sie fuhr herum.
»Willem, du hast mich erschreckt.«
»Dachte, du brauchst vielleicht Hilfe, wenn das deine Jungfernfahrt ist.« Willem lächelte. »Du schläfst nicht in der Kajüte, sondern dort drüben, in der Ecke von dem Vorbau, wo wir verarztet werden.« Er zeigte mit dem Finger nach draußen, zu einem noch windigeren Verschlag. »Dort werden die Drogen aufbewahrt, und du bewachst die.«
Rosa folgte dem Jungen zu der bezeichneten Ecke, die überdacht war, aber weit entfernt von der Abgeschlossenheit einer Kajüte.
»Stell deine Kiste dorthin. Und das ist deine Hängematte, jedenfalls hat da der Hermann geschlafen. Wir alle hoffen, du kannst mehr als er.«
»O ja, ganz bestimmt!«, antwortete Rosa und gab sich Mühe, es überzeugend klingen zu lassen. »Was denn für ne Kiste?«, fragte sie.
»Na, deine Seekiste.«
»Ich … ich hab keine.«
Willem sah sie so ungläubig an, dass sie verzweifelt überlegte, wie sie eine glaubwürdige Erklärung dafür finden könnte.
»Ich, ich hab die vom Hermann gekauft«, stotterte sie hervor und hoffte, dass seine Kiste noch an Bord war.
Willem grinste. »Da hat er dich sicher mächtig übern Tisch gezogen. In seiner Kiste war nix von dem, was reingehört, sondern bloß lauter Rum-Buddeln. Oder hast du schon
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