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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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ich sehr, sehr einfältig. »Ich bin der Gehilfe des Wundarztes.«
    »Ach ja, und ich bin der Kaiser von China. Wenn du sein neuer Gehilfe bist, warum hast du dann versucht, bei mir als Schiffsjunge anzuheuern?«
    »Ist meine erste Seereise«, Rosa gab sich Mühe, entrüstet auszusehen, »da muss man sich doch bei wem melden, oder nicht?«
    »Wo ist der Arzt? Schaff ihn her.«
    Rosa lief hinüber in die Kajüte des Arztes. »Der Mann, der die Leute anstellt, will Euch sehen. Los, los, reißt Euch zusammen! Wenn Ihr jetzt einen kranken Eindruck macht, dann wird er uns beide vom Schiff werfen.«
    Der Arzt richtete sich auf. »Verdammt, meine Rippen. Komm her und hilf mir.«
    Rosa trat zu ihm, der Arzt stützte sich schwer auf ihre Schultern, und so traten sie vor den Mann vom Kai.
    »Gott zum Gruße, Profos. Was gibt’s?«
    Der Profos musterte den Arzt und schüttelte den Kopf. »Hättet Ihr Euch nicht bei besserer Gesundheit halten können? Das hier wird kein Spaziergang. Wir segeln auf Indien, da gibt es viel zu tun für den Wundarzt. Und was ist das für eine Geschichte mit diesem Dorftrottel? Wollt Ihr mir den allen Ernstes als Euren Gehilfen verkaufen? Wo habt Ihr den denn aufgegabelt?« Der Profos schürzte verächtlich die Lippen. »In einer üblen Spelunke sicherlich. Ich hätte ihn jedenfalls nicht angeheuert. Und wenn Ihr mir nicht auf der Stelle beweist, dass er zu etwas taugt, werfe ich ihn eigenhändig über Bord.«
    Der Arzt seufzte, dann warf er Rosa einen verschwörerischen Blick zu. »Dieser Trottel kann sogar Latein!«
    Rosas Knie wurden weich, der Profos würde sich die Gelegenheit, jemanden zu demütigen, sicher nicht entgehen lassen und das ganz bestimmt überprüfen.
    Der Profos grinste hämisch. »Ach ja?«
    Rosa straffte sich. Ihr fiel ein, was der Vater über das Verlieren gesagt hatte. Immer wieder hatte er den Satz von Cicero vorgelesen, der Satz, der auf der Weltkarte des Ortelius gestanden hatte, der einzige, den sie auf Lateinisch aufsagen konnte.
    »Quid ei potest videri magnum in rebus humanis cui aeternitas omnis totiusque mundi nota sit magnitudo.«
    Sie hoffte inbrünstig, dass sie es richtig gesagt hatte, und für den Fall, dass der Profos gar kein Latein konnte und sie nur triezen wollte, fügte sie noch hinzu:
    »Denn was kann dem an menschlichen Dingen groß erscheinen, dem die ganze Ewigkeit und die Größe des ganzen Kontinents bekannt ist?«
    »Reichlich große Worte für so einen Schwächling. Ich werde dich im Auge behalten.« Der Profos wandte sich wieder an den Arzt. »Und wenn Ihr morgen nicht bei besserer Gesundheit seid, dann verlasst Ihr das Schiff mitsamt Eurem Gehilfen. Wir tragen die Verantwortung für über zweihundert Mann an Bord und können uns keinerlei Ausfälle leisten. Dankt Gott, dass Ihr vor Jahren bei der Anmusterung Eure Prüfung als opperchirurgijn meester in Amsterdam abgelegt habt, sonst hätte Euch nicht mal Euer Freund, der Kapitän, mitgenommen«.
    Mit diesen Worten stampfte er davon.
    »… dem die ganze Ewigkeit und die Größe des ganzen Kontinents bekannt ist …«, wiederholte der Arzt, ließ sich auf seine Pritsche fallen und reichte Rosa die Hand. »Ich habe keine Ahnung, wo du herkommst, und der Profos hat dich auch nicht angeheuert, aber du hast es geschafft, ihn zu ärgern, das gefällt mir. Man nennt mich Wolfhardt, und dich?«
    »Carlo«, stammelte Rosa.
    »Cicero! Alle Achtung!« Der Arzt pfiff bewundernd.
    Rosa wurde es heiß. »Dieser Satz ist der einzige, den ich kann. Ich habe ihn von meinem Vater gelernt. Und wenn ich nicht einmal diesen Satz Latein gekonnt hätte?«
    »Dann hättest du halt irgendwas dahergesagt, der Profos hat keine Ahnung, vielleicht ist er deshalb so ungenießbar.« Wolfhardt lächelte. »Aber dein Vater scheint ein kluger Mann zu sein.« Er sah sie auffordernd an.
    »Ja.« Rosa hätte beinahe erzählt, dass sie wegen ihm an Bord war und warum sie nach Indien wollte. Doch zum Glück wurde ihr noch rechtzeitig klar, dass sie sich damit verraten würde.
    »Was bedeutet opperchirurgijn meester?«, fragte Rosa stattdessen.
    Wolfhardt schnaubte verächtlich. »Das bedeutet Schiffschirurg, und die müssen bei der VOC eine Prüfung ablegen, die aber für einen echten Arzt lächerlich ist. Die Vereinigte Ostindische Kompanie will mit dieser Prüfung nur verhindern, dass sich die ganz elend schlechten Barbiere um den Posten bewerben. Die Seeleute verletzen sich ständig, klemmen sich Körperteile ein, die dann korrekt

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