Die Hexengabe: Roman (German Edition)
ich daran, einfach etwas zu erfinden, nur um sie zu erheitern. Es hätte mir auch große Freude bereitet zu behaupten, Aurangzeb sei ein elender Schlappschwanz mit Hoden wie unreife Muskatnüsse. Doch obwohl ich schon so lange von meiner Mutter getrennt war, erinnerte ich mich daran, was sie mich gelehrt hatte: Lüge so, dass neben deiner Lüge die Wahrheit noch kauern kann! Und weil es mir so vorkam, als würde ich unser Wiedersehen verhindern, wenn ich gegen ihre Wünsche verstieß, gab ich vor, ich könne über Aurangzebs Liebeswünsche einfach nicht sprechen, weil sie so unappetitlich seien.
Zunächst waren sie gekränkt, doch dann behandelten sie mich mit mehr Respekt, achteten mein Geheimnis. Und ich wusste auch, warum. Jemand hatte von der Sache mit meinem Sohn gehört, und dann begannen die Frauen sich eine Geschichte darum herumzuspinnen. Eine Sklavin erzählte mir, was sie sich zuraunten: Sie behaupteten, dass Aurangzebs erste Frau meinen drei Monate alten Sohn, der schön wie die Sonne gewesen sei, in der Nacht mit einem Kissen erstickt hätte. Am nächsten Morgen noch hätte man die Abdrücke des Elefanten, der mit Perlen auf dem Kissen aufgestickt gewesen sei, auf der Wange des Kindes sehen können.
Ich wünschte, es wäre so gewesen. So friedlich. Doch mein Sohn, mein geliebtes Söhnchen, wurde vergiftet, und er war in langen, qualvollen Krämpfen und Zuckungen gestorben, war blau angelaufen und dann an meiner Brust zu einem starren Leichnam erkaltet.
Eine feingliedrige Frau mit Haaren in der leuchtenden Farbe der Herbstkürbisse aus Kavala wurde zu mir gebracht, eine Europäerin. An ihrer Hand hing ein Kind, das ebenfalls rothaarig war und blaue Augen hatte, wohl ihr Sohn. Er versetzte mir mit einem einfachen Blinken seiner Wimpern einen Stich mitten ins Herz. Mein Sohn wäre jetzt etwa genauso alt wie dieses Kind hier. Hass loderte durch meine Adern. Jetzt wusste ich, warum Beshir sie mir zugeteilt hatte: nur um mich zu quälen.
Die Frau hatte nichts von der Süße des Knaben, sondern war herb wie eine in Essig eingelegte Gurke, und sie war ganz offensichtlich eine Christin, denn sie trug ein silbernes Kreuz im Ausschnitt ihres Kurtis.
»Wie ist dein Name?«, fragte ich sie auf Arabisch und war überrascht, als sie mir ohne Zögern in holprigem Arabisch antwortete.
»Den kann hier sowieso keiner aussprechen!«
»Für diese respektlose Antwort könnte ich dich auspeitschen lassen.«
Sie zuckte nur mit den Schultern. Aber ihr Sohn umklammerte ängstlich ihre Beine.
»Nun, ich werde es nicht tun.«
Sie zuckte wieder mit den Schultern.
»Ich werde dir gar nichts tun.«
Die Frau hob ihren Blick, und ich konnte zum ersten Mal ihr Gesicht betrachten. Augen in der Farbe eines matten Monsunhimmels klagten mich an. Ihre grauen Wangen waren eingefallen, wodurch ihre Nase noch viel größer wirkte, was die Inderinnen ständig zum Kichern verleitete. Große Nasen und große Füße galten als hässlich.
Sie lachte spöttisch. »Ihr habt die Faktorei der VOC überfallen, meinen Mann getötet und uns hierher verschleppt. Das nennst du, mir nichts tun?«
Ich war versucht zu sagen: Aber das war doch nicht ich, wollte sagen, ich bin doch auch nicht aus freien Stücken hier, aber dann biss ich mir auf die Zunge. Welchen Trost würde ihr diese Antwort geben? Keinen. Nur weil man im selben Boot saß, spürte man noch lange nicht den gleichen Schmerz.
»Warum bin ich hier?«
Jetzt zuckte ich mit den Schultern.
»Warum habt ihr mich nicht auch gleich getötet? Zu was kann ich hier schon nutze sein?« Sie sah sich in meinem kleinen Palast verächtlich um, als wollte sie gleich ausspucken.
»Wahrscheinlich brauchen die Leute um Khan Bahadur Ammar Geld«, gab ich zurück. »Sie werden versuchen, die VOC zu erpressen.«
Sie verdrehte ihre Augen. »Lächerlich! Wer sollte für uns etwas bezahlen. Eine Frau und ein Kind!«
»Die Europäer gelten bei den Moguln als etwas sentimental.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Die VOC wird keinen Finger krümmen, um uns hier rauszuholen.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ihr habt meinen Mann ermordet, hinterrücks wie Feiglinge!«
»Die Heulerei solltest du dir gleich abgewöhnen, weinende Frauen werden nur bei Todesfällen geduldet. Im Harem hast du zu lächeln.«
»Ist mir gleichgültig.«
»Und was wird aus deinem Sohn, wenn dir etwas zustößt?«
Noch mehr Tränen kullerten ihre Wange herab.
»Mein Sohn sollte nach Hause, nach
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