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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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Deutschland, nach Nürnberg. Dort gehört er hin, zu seinem Großvater. Nach Hause.«
    Nach Hause, sagte sie, die Ahnungslose. Meine Lippen kräuselten sich spöttisch, doch tief in meiner Brust zog sich etwas zusammen, wie zu einem Weinkrampf, aber diese Schwäche würde ich der neuen Sklavin nicht zeigen. Ich wollte nicht mehr schwach sein. Nie mehr.
    Stattdessen forderte ich sie etwas gröber als nötig auf, meine Terrasse zu fegen.
    Sie sah mich an, als hätte ich verlangt, dass sie ihre eigenen Exkremente aufessen soll, machte sich dann aber daran, den Besen zu suchen. Der Junge tappte hinter ihr her, rannte zum Brunnen und steckte seinen Kopf unter das Wasser. Dann zog er den Kopf wieder zurück, schüttelte sich wie eine Katze und gluckste begeistert. Er rief seine Mutter und führte ihr das Ganze noch einmal vor. Aber sie sah nicht zu ihm hin.
    Sieh hin!, wollte ich rufen, sieh hin! Er kann morgen tot sein. Sieh hin und freue dich an ihm! Stattdessen schwieg ich.
    Ich würde sie beschäftigt halten, um sie von ihrem Elend etwas abzulenken.
    Ich beobachtete sie beim Fegen. Sie ging systematisch vor, durchdacht, anders als die anderen Sklavinnen, die den Blütenstaub und die abgefallenen Blätter immer nur von hier nach dort schoben.
    Sie hatte die Statur einer großen, stattlichen Frau, aber ihre Knochen stachen hervor wie bei einer unterernährten heiligen Kuh. Ihr fülliges rotes Haar wirkte wie ein letztes Aufbäumen ihres Körpers, bevor er sich zum Verlöschen bereit machte.
    Ich würde sie etwas aufpäppeln. Vielleicht war sie klug, vielleicht hatte sie etwas gelernt, das sie mir beibringen und mit dem sie mich von der endlosen Langeweile des Haremlebens befreien konnte.
    »Kannst du lesen und schreiben?«
    »Nicht Eure Schrift.«
    Ich verkniff mir ein bitteres Lachen. Was war denn meine Schrift? Die heilige armenische Schrift? Die arabische? Die türkische?
    »Also, welche?«
    »Lateinische Schrift, die Buchstaben gelten auch im Englischen, Holländischen und Französischen oder Italienischen, aber natürlich verwenden sie andere Worte.«
    »Gut, dann schlage ich vor, du unterrichtest mich in dieser Schrift und Sprache, dafür bringe ich dir und deinem Sohn die unsere bei.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Möchtest du lieber Terrassen fegen, Nachttöpfe ausleeren oder Haare ölen?«
    Es kostete sie sehr viel Überwindung. Sie nahm mehrere Anläufe, etwas zu sagen, begann damit, den Kopf zu schütteln, hielt inne, atmete tief durch, und schließlich entwich ihr etwas, das sich wie ein »Yia« anhörte und mich an meine Heimat erinnerte. In Armenien sagen wir »Ayo«, wenn wir ja meinen.
    Ich wiederholte langsam »Yia«, was den bitteren Zug um ihren Mund für einen Moment verschwinden ließ und mich mit einem unbestimmten Gefühl von Hoffnung erfüllte.

27. Kapitel
     
    S eit der Abfahrt aus Venedig waren zehn Tage vergangen, und Rosa hatte als Gehilfin des Schiffschirurgen alle Hände voll zu tun. Schon beim Auslaufen war der Fuß eines Söldners von einer Kanonenkugel so übel zerquetscht worden, dass er amputiert werden musste.
    Zum Glück war Wolfhardt zu diesem Zeitpunkt wieder in der Lage, seinen Pflichten als Schiffsarzt nachzukommen.
    Rosas Aufgabe war es dabei gewesen, den Verletzten mit Gin abzufüllen und ihm dann einen Stofffetzen in den Mund zu stopfen, damit er sich nicht aus Versehen die Zunge abbiss. Bei der eigentlichen Operation hatte sie den Söldner mit vier anderen Schiffsjungen festhalten müssen, aber nur so lange, bis der Unglückliche die Besinnung verlor und sich nicht länger gegen die Knochensäge wehrte. Danach hatte sie den Stumpf verbinden und den Soldaten pflegen müssen.
    All das hatte ihr nichts ausgemacht, denn sie war froh, endlich der Gefahr entronnen zu sein, doch noch von Bord verwiesen zu werden.
    Es war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen, bis das Schiff endlich Anstalten gemacht hatte, Venedig zu verlassen. Wolfhardt war sehr launisch und jammerte immer wieder nach Hermann, mit dem er offensichtlich ständig Saufgelage gefeiert hatte. Mal passte es ihm, dass Rosa sich viel um die Kranken kümmerte, mal ging sie ihm auf die Nerven, und weil Rosa nie wissen konnte, in welcher Stimmung er sich gerade befand, hatte sie ständig das Gefühl, auf einem Seil zu tanzen.
    Am Tag der Abreise war ein Lotse an Bord gekommen, denn die Schiffe waren voll beladen und daher nur schwer durch den Hafen Venedigs steuerbar. Danach hatte der Krankentröster eine kurze Predigt

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