Die Hexengraefin
vorerst einmal – in die Dienste eines neuen Herrn, nämlich des französischen Ersten Ministers, Kardinal Richelieu, trat.
»Sobald die Wiener Bluthunde aus Straßburg verschwunden sind und Gras über die Angelegenheit gewachsen ist, kehrt Ihr zu mir zurück«, hatte Seine Eminenz versprochen.
Die Stimmung in der Kutsche war, sobald man Straßburg verlassen hatte, recht heiter. Wer immer den Bischof denunziert hatte, eine Hexe zu beherbergen, die Kaiserlichen konnten ihnen, sobald die Flüchtlinge auf französischem Boden waren, nichts mehr anhaben.
Die Gräfin war im Besitz hervorragend gefälschter Papiere, die sie als die Witwe eines Grafen aus dem Languedoc auswiesen. Woher der Bischof die Pässe so schnell herbeigezaubert hatte, blieb Adelheid ein Rätsel.
Wahrscheinlich besaß er sie gewissermaßen auf Vorrat, dachte sie erheitert. Ihr Name lautete nun Comtesse Marie Adelaide de Bréteuil. In ihrer Begleitung reisten ihre geistesschwache, bedauernswerte Schwester Demoiselle Hélène de Morrisson sowie ihre Zofe Anne Larousse.
Ursula brauchte noch etwas, um sich an ihren neuen Namen »Anne« zu gewöhnen. Helene Hagenbusch hingegen kümmerte das alles nicht. Von ihren körperlichen Wunden war kaum mehr etwas zu sehen, und sie konnte ihre Glieder, von einigen Einschränkungen des rechten Armes einmal abgesehen, fast wieder normal gebrauchen.
Sogar ihre vom Henker zerquetschten Fingerkuppen waren sauber verheilt, und zu Adelheids Genugtuung begannen Helenes Fingernägel nachzuwachsen. Noch trug das Mädchen Handschuhe, welche weit, bis beinahe zum Ellbogen hinaufreichten, um seine Hände vor neugierigen Blicken zu schützen.
Das Schlimmste war ihre völlige Teilnahmslosigkeit. Ihre einst so lebhaften, blauen Augen blickten den Sprecher niemals an, sondern schweiften in weite Fernen. Was sie dort sahen, teilte sie keinem mit, sodass niemand sagen konnte, ob ihre Seele überhaupt von irgendetwas berührt wurde.
»Nicht einmal, wenn sie Hunger oder Durst hat, lässt sie es uns wissen. Bekommt sie zu essen, dann isst sie, gebe ich ihr zu trinken, trinkt sie. Beginne ich, sie zu füttern, gibt sie nicht zu erkennen, ob es sie danach verlangt und wann es genug ist, kann ich jeweils nur erahnen. Wenn das arme Geschöpf doch nur einmal wieder ein einziges Wort spräche.«
»Geduldet Euch, Madame«, riet der jüdische Medicus. »Dieser Zustand der völligen Starre und das Fehlen jeglicher Anteilnahme diente ursprünglich zu ihrem Schutz. So war es Eurer Freundin möglich, das Schreckliche überhaupt zu ertragen. Manche Menschen werden dabei wahnsinnig. Sie hingegen hat sich in sich selbst zurückgezogen. Es dauert nun seine Zeit – manchmal sehr lange -, ehe sich dieser Zustand löst.
Zuerst hatte ich auch meine Zweifel, aber nun bin ich sicher, dass Demoiselle Hélène irgendwann wieder zu sich selbst zurückkehren wird.«
Die Gräfin hatte die Hand Helenes gefasst und seufzte schwer. Aber die wie eine Marionette steif Dasitzende reagierte nicht. Da wandte Adelheid, beziehungsweise die Comtesse Adelaide de Breteuil, resigniert ihre nachtdunklen Augen ab und starrte wie verloren aus dem Kutschenfenster hinaus in die kalte, sternklare Novembernacht.
»Wollte GOTT, dass Ihr recht habt, Monsieur Weinlaub«, gab sie dem Arzt nach einer Weile zur Antwort, »ich wünsche es mir so sehr. Aber die Hoffnung auf Besserung fällt mir allmählich schwer.«
In der Kutsche herrschte jetzt längere Zeit Schweigen.
»Was ist das?«, fragte die junge Frau auf einmal und Ursula/ Anne, ihre Zofe, sowie der jüdische Arzt folgten ihrem Blick.
Die Karosse rumpelte eben über einen schmalen Weg durch moorige Wiesen, und es schien, als hüpften und tanzten merkwürdige Lichter über das feuchte Gras. Ja, sie taumelten zum weiter entfernt liegenden Waldsaum, stiegen dort gleichsam an den Baumstämmen in die Höhe, wo sie nach einer gewissen Zeit in den Wipfeln erloschen.
»So etwas habe ich noch nie gesehen. Woher stammen diese Lichtlein?« Adelaide hatte sich wie selbstverständlich an den jüdischen Gelehrten gewandt. Ihm traute sie offenbar zu, auch über Naturerscheinungen Bescheid zu wissen.
»Die Lichter stammen aus den Löchern im Erdreich, die die Kühe im Herbst mit ihren Hufen in den feuchten Moorboden gestampft haben, Madame. Es sind Flämmchen mit gelbroten Zungen und blaugrün leuchtenden Füßchen. Gleich Natterngezüngel zucken sie, ehe sie in der Finsternis der Nacht wieder verschwinden. Diese Naturerscheinung
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