Die Hexengraefin
gibt es nur in den sternklaren, kalten Novembernächten«, fuhr der Medicus fort, »und die Menschen sehen in dem fluoreszierenden Sumpfgras die Seelen der Toten, die, unerlöst, keinen Frieden finden und immer noch ihrer irdischen Heimstatt verbunden sind.
Auf sumpfigen Wiesen ist man oft vom spukhaften Flimmern dieser ›Irrlichter‹ umgeben. Bei jedem Schritt entweichen sie zu beiden Seiten. Doch sobald man vorüber ist, schließen sie hinter dem Wanderer ihre Reihen und heften sich hartnäckig an seine Fersen.«
Ursula, jetzt die Zofe Anne Larousse, stammte aus dem Markgräfler Land und war zu Füßen eines Berges namens Belchen, im Münstertal, aufgewachsen.
»Auf den feuchten Matten des Belchen sahen die Leute oft blaue Lichtlein mit roten Spitzen. Es sei ein Versammlungsort der Hexen hieß es, sobald wir Kinder neugierig fragten.«
So war man wieder einmal bei diesem leidigen Thema.
»Das wird erst aufhören, ein Thema zu sein, wenn die Menschen klüger geworden sind. Nur aus Unwissenheit glauben sie an Hexen, Gespenster und Zauberei. Alles, was sie sich nicht erklären können und was ihnen Angst macht, hat für sie mit bösen Geistern zu tun.«
Auch der Medicus hatte einige Beispiele parat, in denen unschuldige Frauen der Hexerei angeklagt wurden, obwohl vollkommen natürliche Ursachen das Übel bewirkt hatten.
»Eine Frau in Freiburg war angeklagt, einen Schadenszauber gegen ihre missliebige Nachbarin angewendet zu haben. Sie hatte der anderen ein Glas voll Früchtekompott geschenkt, und die war daran gestorben. Doch das Pflaumenmus war nicht verhext, sondern die Frau hatte es in einem Kupfergeschirr zubereitet. Und das entwickelte zusammen mit der Säure des Obstes ein Gift, welches die andere ums Leben gebracht hatte. Weil das aber keiner der Richter wusste, wurde die Angeklagte als Hexe verbrannt.«
»An diesen Fall kann ich mich noch entsinnen«, sagte Madame Adelaide, »er hat vor ein paar Jahren ziemlichen Staub aufgewirbelt, denn es handelte sich bei der angeblichen Hexe um die Frau des angesehenen Zunftmeisters der Schmiede.«
»Ähnlich verhält es sich mit Wein in bleihaltigen Zinnkannen. Auch dies hat üble Folgen für die menschliche Gesundheit, weil das Blei große Schäden im Körper anrichtet. Aber wer weiß das schon? Viele Unschuldige sind wegen Schadenszauber zum Tode verurteilt worden, die in Wahrheit gar nichts dafür konnten. Dummheit ist der größte Feind der Menschheit«, dozierte der jüdische Arzt. »Es bleibt nur zu hoffen, dass ganz allmählich die Helligkeit des Wissens und der Erkenntnis in die dumpfen Gehirne der Leute dringt, um Prozesse gegen angebliche Satansdienerinnen unmöglich zu machen. Aber das wird noch einige Zeit dauern, fürchte ich.«
Auch Adelaide hatte Kenntnis von angeklagten Hebammen, die völlig schuldlos in die Mühlen der Justiz geraten waren, weil die Kinder, denen sie ans Licht der Welt geholfen hatten, unter Blutgeschwülsten am Kopf litten. Niemand wollte ihnen glauben, dass diese nicht angehext, sondern natürlichen Ursprunges waren.
»Es gibt noch merkwürdigere Vorkommnisse, die zwar ekelhaft sein mögen, aber dennoch nicht das Mindeste mit Zauberei zu tun haben«, sagte Aaron Weinlaub. »Wenn beispielsweise bei einem Knochenleiden aus einer geöffneten Wunde Gewebeteile und Knochenstücke austreten, hat auch dies seine natürliche Ursache und ist nicht auf Hexerei zurückzuführen. Aber vielleicht ist es jetzt besser, meine Damen, die unappetitliche Diskussion zu beenden.«
Inzwischen hatten sie das sumpfige Gebiet verlassen und trotz angestrengten Hinausstarrens konnten weder die »verwitwete« Comtesse, noch ihre Zofe Anne ein zuckendes Flämmchen erkennen. Der Wagen rollte erneut auf fester Straße. Überlaut klapperten die Hufe sowohl der Zugpferde als auch der vier Gäule ihrer Wachmannschaft, und es war schwierig geworden, sich zu unterhalten.
Adelaide beschloss trotz des Gerüttels, ein wenig zu schlafen. Bald würde der Medicus sie verlassen, um sich zu seinem neuen Patienten, dem französischen Premierminister und Kardinal, Armand-Jean du Plessis, Herzog de Richelieu, zu begeben.
Die Comtesse de Bréteuil fühlte eine unbestimmte Art von Bangigkeit in sich aufsteigen. In diesem burgundischen Kloster Sainte Cathérine würde sie ganz allein dem Wohlwollen der Äbtissin, Madame Angélique des Anges, ausgeliefert sein. Wer wusste schon, ob sich diese sich in der Tat als eine hilfreiche Seele erwiese?
Das Gefühl drohenden
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