Die Hexengraefin
Unheils verstärkte sich noch, aber gewaltsam befreite sich die junge Frau davon. Es brächte ihr gar nichts, sich dunklen Ahnungen zu überlassen. Sie konnten nirgendwoanders hin, also hieß es für sie: »GOTT befohlen!«
Sie lehnte sich zurück, schmiegte ihren Kopf gegen das harte Polster der Kutsche und sehnte den Augenblick herbei, in dem sie dieses rüttelnde und schaukelnde Gefährt verlassen konnte. Der Optimismus ihrer Jugend sowie ihr gesunder Menschenverstand und ihre zupackende Art würden ihr schon helfen, alle eventuellen Widerstände zu meistern.
KAPITEL 52
»WER HAT DICH DENN HEREINGELASSEN, Jakob? Ich habe doch ausdrücklich befohlen, dass mich heute niemand stören darf.«
»Tut mir leid, Herr. Keiner hat mich aufgehalten. Von Eurer Dienerschaft sind offenbar alle der Meinung, dass ich Euer Freund bin und jederzeit zu Euch Zutritt habe. Sollte sich das neuerdings geändert haben?«
Herrn Ferfried war das peinlich. Der Graf lief ein wenig rot an, räusperte sich und brummte dann: »Ist schon recht, Jakob. Natürlich bist du mir wie immer willkommen. Tritt ein und setz dich. Was hast du auf dem Herzen?«
»Ich will mich endlich bedanken, Herr. Dafür, dass Ihr veranlasst habt, meine Tochter erst zu befreien und dann in Sicherheit zu bringen. Auch mein Weib dankt Euch von Herzen.«
»Pssst! Wenn dich jemand hörte. Auch auf Ruhfeld haben die Wände Ohren. Man weiß nie, ob nicht einer der Vertrautesten sich plötzlich als Verräter entpuppt.«
»Da habt Ihr recht, Herr. Ich bin sicher, so ein Kerl hat auch mein Helen auf dem Gewissen. Wie sonst wär’s möglich gewesen, dass man sie als Hexe angeklagt hat?« Scharf beobachtete er bei diesen Worten den Grafen. Dieser hatte sich aber gut in der Gewalt und erwiderte seelenruhig: »Man darf nicht alles glauben, was die Leute so schwätzen, Jakob. Geredet wird viel, wenn der Tag lang ist; wichtig ist, dass wir für das Mädchen eine Lösung gefunden haben.«
»So ist es, Herr. Nur schade, dass das Helen von all der Hilfe so gut wie nichts mehr mitkriegt. Wär’s nicht besser für das arme Mädel gewesen, wenn es hätt sterben können?«
»So darfst du nicht einmal denken, Jakob. Mit der Zeit wird sich vieles einrenken – hoff ich.«
»Ja? Nun, möglicherweise renkt sich manches wieder ein, Herr Graf. Vieles mag vielleicht auch ganz vergehen. So wie auch mein Bedürfnis, Rache an dem zu nehmen, der das Leben meines Kindes zerstört hat.«
Auf einmal sah der Graf, dass der Freibauer seinen Dolch in der rechten Hand hielt. Wie selbstvergessen spielte Jakob Hagenbusch mit der gefährlichen Waffe und fixierte dabei aber scharf sein Gegenüber.
»Was glaubt Ihr, Herr, wie oft ich jeden Tag daran denke, das Verbrechen an meiner Tochter zu rächen? Dem Schuldigen etwa das Gleiche anzutun, was er meinem arglosen Kind zugefügt hat?«
Ferfried ließ sich seine Angst nicht anmerken. Er selbst war unbewaffnet. Im Geiste rechnete er sich die Chancen gegen Jakob aus. Sie waren etwa im selben Alter, ungefähr gleich groß und stämmig, sowie annähernd gleich schwer. Aber der andere war eindeutig im Vorteil: Hielt er doch ein scharf geschliffenes Messer in der Faust, womit man einen Ochsen abzustechen vermöchte.
Immerhin bin ich auf einen Angriff vorbereitet, er könnte mich wenigstens nicht überrumpeln, dachte Ferfried. Panik stieg jetzt in ihm hoch.
Nach der Dienerschaft um Hilfe zu rufen, kam für den Grafen nicht infrage. Dies war ganz allein eine Angelegenheit zwischen ihm und dem Bauern. Unbemerkt schob er sich samt seinem schweren Sessel etwas nach hinten – weg von seinem Schreibtisch, um im Falle eines tätlichen Angriffs größere Bewegungsfreiheit zu haben.
»Wozu genau bist du gekommen, Jakob?«, wollte jetzt der Edelmann wissen, wobei er sich um Kaltblütigkeit in der Stimme bemühte.
Der Bauer musterte den Grafen mit zusammengekniffenen Augen. Beide Männer starrten einander minutenlang mit großer Intensität in die Augen. Der ehemalige Schultheiß war es schließlich, der als Erster seinen Blick abwandte. »Entschuldigt, Herr.«
Jakob Hagenbusch tat so, als falle ihm erst jetzt auf, womit sich seine Hand schon eine ganze Weile beschäftigt hatte. Er hörte auf, den Dolch hin- und herzudrehen, steckte ihn wieder in die lederne Scheide an seinem Gürtel zurück und sah erneut mit höchster Anspannung auf den Herrn von Ruhfeld.
»Ich möchte Euch den Waldgrund auf der Hornisgrinde überlassen, Herr. Ihr wisst schon: Die alte
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