Die Hexengraefin
Seitenstechen hatten.
»Demoiselle Hélène bekommt so gar nichts mit. Das mag einesteils gut für sie sein, aber andererseits entgeht ihr auch eine Menge Spaß«, sagte abschließend die Comtesse mit Bedauern. Und aus einem Impuls heraus, zog sie ihre Freundin dicht an sich und legte ihr ganz fest den Arm um die mageren Schultern.
»Ma pauvre sœur« , flüsterte sie der starr vor sich Hinblickenden ins Ohr. »Ma chère Hélène, je t’aime, je t’aime beaucoup.«
Eine Nacht noch würden sie in einem Gasthof verbringen müssen – wenn alles gut ginge. Das hieß, dass sich keines der Kutschengäule ein Bein brach und erschossen werden musste, wie es vor vier Tagen, kurz nach Troyes geschehen war, und dass nicht der Wagner bemüht werden musste oder der Stellmacher, weil wieder einmal ein Rad oder gar eine Achse oder sonst ein Teil des Gefährtes auf den holprigen Wegen zu Bruch ging.
Zum Bezahlen hatte sie bisher das französische Geld verwendet, das ihr Bischof Leopold zugesteckt hatte. Ihr eigenes, das noch von Graf Ferfried stammte, würde sie nur im Notfall gegen Livres eintauschen und ausgeben, hatte sie sich vorgenommen.
Der Wirt des Gasthofs Lion d’Or, in der Ortsmitte von Tonnerre, war ein gutmütiger, dicker Geselle, der sogleich selbst mit anpackte, als es darum ging, die offenbar sehr kranke Demoiselle auf das Zimmer zu tragen, welches sie mit der Comtesse wie gewöhnlich teilte.
Adelaide schlief im Allgemeinen im selben Bett wie ihre Freundin, und Anne ließ sich von den Mägden des Wirts ein Lager aus einem Strohsack und Decken am Fußende der breiten Bettstatt herrichten.
Die beiden jungen Frauen fühlten sich so am sichersten, außerdem konnten sie so jederzeit der leidenden Gefährtin Hilfe leisten.
Die Comtesse, die ihren Aufenthalt und die Zeche im Voraus bezahlte – das tat sie in der Regel immer, um zu beweisen, dass sie über genügend Mittel verfügte -, ließ sich vom Wirt des Goldenen Löwen und dessen Frau das Abendessen für drei Personen, Brot und Wasser, sowie eine Karaffe mit Wein aufs Zimmer bringen.
Sie schätzte es nicht, unten in der Wirtsstube von allen Männern – meistens alleinreisende Herren und deren Fuhrleute und Diener – angestarrt zu werden. Außerdem müsste sie Rede und Antwort stehen, nach dem Woher und Wohin und Weshalb; und Aufsehen zu erregen war das Letzte, was sie wollte.
Adelaide hatte daher auch den Kutscher und die berittenen Herren ihrer Begleitung um Diskretion gebeten. Gut, dass sie zu einem Kloster wollte, das konnte ihretwegen jeder wissen. Das klang gottgefällig, aber andererseits vermuteten vielleicht Banditen, dass sie ihre gesamte Aussteuer in bar mit sich führte, wenn sie ins Kloster eintreten wollte. Das könnte wiederum Anreiz zu einem Überfall bieten …
»Wenn wir doch nur schon in Auxerre angekommen wären«, seufzte sie abgrundtief, als sie Hélène sorgfältig für die Nacht zudeckte.
Auch ihre Zofe, Anne Larousse, sehnte sich danach, endlich wieder dauerhaft festen Boden unter den Füßen zu haben. Mochte die Landschaft, die sie durchquerten, auch noch so schön sein.
»Ich möchte endlich wissen, wo ich hingehöre«, sagte sie, »und die Landstraße kann das ganz gewiss nicht sein.«
»Morgen kommen wir an, so GOTT will«, tröstete sie ihre junge Herrin. »Dann sind wir endlich in Sicherheit. Kein Munzinger, kein Veigt, kein Scheible und auch kein kaiserlicher Büttel kann uns dort mehr etwas anhaben. Dann sind wir wirklich frei.«
KAPITEL 54
MITTEN IN DER NACHT wurde die Comtesse Adelaide von einem Geräusch geweckt.
Zu ihren Füßen hörte sie ein Gerumpel, welches sich nach einer ordentlichen Rangelei anhörte; ein unterdrückter Schrei ihrer Zofe machte die Gräfin vollends munter. Erregtes Schnaufen und leises Fluchen waren jetzt überdies zu vernehmen und etwas, das heftige Gegenwehr zu sein schien.
›Ein Mann ist ins Zimmer eingedrungen und will Anne Gewalt antun‹, war Adelaides erster Gedanke, und im selben Augenblick griff sie unter ihr Kissen und fasste nach dem Griff ihres Dolchs, den sie seit ihrer Flucht aus der Ortenau ständig mit sich führte: Tagsüber verborgen in den Rockfalten und nachts in ihrem Bett.
Während sie aufgebracht den Kampfgeräuschen lauschte, war ihr bewusst, dass sich offenbar noch ein zweiter Kerl im Raum befand, der sich heimlich neben sie auf die Matratze ihres Bettes gelegt hatte. Hélène schlief an der Wand und war offenbar nicht wach geworden.
›Und wenn,
Weitere Kostenlose Bücher