Die Hexengraefin
wenigstens die Achtung der Weiber zurückzugewinnen.
Und die Gräfin hatte sich nicht geirrt: An einem eiskalten Tag Ende März 1632 – es schien, als wäre der Winter mit Macht zurückgekehrt – verbreitete sich in Auxerre und Umgebung die Nachricht, die schöne Äbtissin Angélique liege auf den Tod krank darnieder.
Und in der Tat, sie hatte bereits die Sterbesakramente empfangen, und ihr bleiches Antlitz zeigte die Anzeichen des kurz bevorstehenden Ablebens.
Alle Nonnen des Konvents hatten sich mittlerweile schluchzend vor ihrer Zelle versammelt, um für ihre Äbtissin zu beten. Ihr Atem ging schwer und stockend, und sie seufzte ein paar Male herzzerreißend, sodass selbst die misstrauische Adelaide glaubte, mit der Mutter Oberin ginge es tatsächlich zu Ende.
Bloß Anne, ihre resolute Zofe, war in ihrer Dreistigkeit ganz nahe an das Sterbelager der frommen Dame herangetreten. Anschließend trat sie, ohne eine Miene zu verziehen, zurück zu den anderen und flüsterte ihrer Herrin ins Ohr: »Madame des Anges ist weiß geschminkt. Auch die dunklen Schatten um ihre Augen sowie die bläulichen Lippen rühren von Schminkstiften her.«
Dessen ungeachtet wurden weiter Sterbegebete für sie gesprochen, und in der Klosterkirche bereitete man alles für ihre prunkvolle Aufbahrung vor.
Das einem kostbaren Bischofsmantel ähnelnde, zeremonielle Äbtissinnengewand, die silbernen Schuhe und der goldene Abtsstab mit der mit Edelsteinen geschmückten Krümme lagen bereit.
Und plötzlich geschah etwas Wunderbares.
Die im Sterben Liegende richtete sich ohne fremde Hilfe auf und starrte mit verzücktem Blick in ihren weit geöffneten, dunklen Augen gen Himmel, als sähe sie dort die herrlichsten Dinge.
Die völlig überraschten Schwestern und der alte Beichtvater, aber auch Adelaide und Anne durften erfahren, dass die Ehrwürdige Mutter nicht den Weg in die Ewigkeit antreten werde, sondern im Gegenteil geheilt sei.
Mit erstaunlich klarer und kräftiger Stimme verlangte sie ein Kissen in den Rücken gestopft zu bekommen, dann fasste sie alle, die sich in dem ziemlich engen Raum befanden, scharf ins Auge und berichtete von ihrer wundersamen Heilung.
»Der heilige Thomas ist mir erschienen«, verkündete sie triumphierend, »und dieser Apostel des HERRN hat über meinem Leib ein feines Öl von unvergleichlich starkem und lieblichem Aroma versprengt. Seit diesem Augenblick haben sich alle meine Beschwerden verflüchtigt. Ich fühle weder Schmerz noch Mattigkeit, noch Übelkeit, sondern nur noch Kraft, Jugendlichkeit und Lebendigkeit.«
Dann schlug sie ihre Zudecke zurück und wies auf ihr blütenweißes Seidenhemd. »Seht her. Hier zeigen sich noch die Spuren des Öls, das der Heilige auf mich geträufelt hat.«
Und in der Tat, alle Anwesenden konnten fünf Ölflecken erkennen, denen ein kräftiger, aparter Duft entströmte.
Wer sollte da noch daran zweifeln, dass der heilige Thomas an der sterbenskranken Braut Christi ein Wunder vollbracht hatte?
Statt der Totenmesse würde es also eine Jubelfeier geben. Zahlreiche Würdenträger, weltliche und geistliche, konnte man dazu laden, und die Insignien ihrer Äbtissinnenwürde hatte man nicht umsonst herausgelegt. Sie würde im Schmuck derselben auf einem Thronsessel in der Kathedrale vorne beim Altar sitzen, denn die kleine Klosterkirche würde nicht alle Zuschauer, mit denen man rechnete, fassen können.
Nur die mit weißer Seide ausgeschlagene Totentruhe konnte man wieder in der Versenkung verschwinden lassen. Dieses Möbelstück durfte vermutlich noch lange Zeit warten.
In ihrer Zelle hielt sich die Gräfin den Bauch vor Lachen. »Es ist nicht zu fassen, wie leicht die Menschen doch zu übertölpeln sind. Ein bisschen Theater, und alle fallen darauf herein. Die Mutter Oberin ist erneut in aller Munde, aber diesmal wird sie überdies den Geruch von Heiligkeit verbreiten.«
»Das nützt dem Kloster, Madame. Pilger werden in Scharen herbeieilen und viel Geld dalassen. Diese Madame des Anges ist ein raffiniertes Stück«, entgegnete Anne und grinste. »Ich habe munkeln hören, sogar Kardinal Richelieu höchstpersönlich werde es sich nicht nehmen lassen und zum Dankgottesdienst für die wunderbare Genesung der Äbtissin erneut anreisen. Und es gibt Leute, die wissen wollen, dass sogar die fromme Königin Anna ihr Erscheinen angekündigt hat.«
»Die Ärmste ist seit über zwanzig Jahren verheiratet und hat immer noch kein Kind. Am Hofe nennt man sie bloß die
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