Die Hexengraefin
abwenden. Um sie erneut ein wenig aufzuziehen, fing Anne wieder an: »Meine Herrin hat es überaus bedauert, dass Ihr so gar nichts von Euch hören ließet, Monsieur.«
Adelaide wollte ihrer Zofe schon harsch über den vorlauten Mund fahren, aber der Comte fiel ihr ins Wort.
»Madame, ich versichere Euch, ich habe es zweimal probiert, Euch in Sainte Cathérine aufzusuchen, und außerdem ließ ich Euch drei Billets ins Kloster überbringen, in denen ich mich jeweils nach Eurem Befinden erkundigte. Als ich zum ersten Mal vorsprach, versicherte mir die Äbtissin, Ihr wäret nicht im Kloster, sondern bei Verwandten zu Besuch, und beim zweiten Mal behauptete sie, Ihr wäret schon wieder nach Deutschland abgereist. Obwohl die Straßen ohne männliche und vor allem bewaffnete Begleitung nicht anzuraten seien, hättet Ihr partout darauf bestanden, Euer sicheres Asyl zu verlassen. ›Die Comtesse war ja nicht meine Gefangene‹, hat mir die Ehrwürdige Mutter treuherzig versichert.«
Adelaide war wütend.
»Davon hat mir die Oberin kein Wort gesagt«, entgegnete Adelaide zornig. »Auch Eure Brieflein habe ich nie erhalten, Monsieur«, ereiferte sie sich.
»Erst durch ein Schreiben meiner Schwester, der Nonne Marie-Madeleine, erhielt ich Kenntnis von Eurer misslichen Lage. Und so habe ich mir eine Möglichkeit ausgedacht, wie ich Euch behilflich sein könnte, Madame.«
Die konnte erst einmal gar nichts weiter dazu sagen; allzu viel war in Kürze auf sie eingestürmt. Aber da man zwei gute Tagesreisen brauchen würde, um Schloss Beauregard zu erreichen, welches südlich von Auxerre, mitten in ausgedehnten Weinbergen und Wäldern gelegen war, hatte man viel Zeit und Muße, um alles Wichtige – auch bezüglich ihrer Weiterreise an den Rhein – zu besprechen.
In der Abtei war inzwischen die Flucht der »Gäste« nicht unbemerkt geblieben. Die Ehrwürdige Mutter hatte es erst nicht glauben wollen.
»Wie konnten diese Frauen denn fliehen, wenn an jedem Tor ein Wächter steht?«, sagte sie. »Und wohin sollten sie sich wenden? Diese deutsche Gräfin und ihre halb verrückte Schwester kennen doch niemanden in Frankreich, der willens wäre, ihnen Obdach zu gewähren«, rief sie abfällig aus. »Nur ich war bereit, sie aufzunehmen, und das soll nun der Dank für alles sein?«
Aber jede noch so gründliche Suche blieb ergebnislos. Von keiner der drei Ausreißerinnen war die geringste Spur zu entdecken. Und die Zelle der Comtesse fand man in einem Zustand vor, der jederzeit auf eine Rückkehr der Dame schließen ließ.
Sogar ein Buch, in welchem Adelaide zuletzt gelesen hatte, war an einer bestimmten Seite aufgeschlagen, so als wollte sie demnächst in ihrer Lektüre fortfahren.
Ihre Kleidertruhe stand genauso an einer Wand der Zelle wie seit Monaten.
»Welche Dame lässt bei einer Flucht ihre gesamte Garderobe zurück, Ehrwürdige Mutter?«, fragte eine ältere Nonne, aber die Äbtissin ließ sich nicht so leicht täuschen.
»Diese undankbare Person hat ihr ganzes Geld und ihren wertvollen Schmuck mitgenommen«, teilte sie nach routinierter Durchsuchung des Raumes den übrigen Nonnen mit, »sogar ihr verwünschtes Kräuterbuch fehlt. Es steht also fest, dass sie in der Tat geflohen sind, ohne sich zu verabschieden und ohne zu sagen, wohin sie sich zu wenden gedenken.«
Schwester Madeleine, die so tun musste, als wüsste sie von nichts, meinte treuherzig: »Und was haltet Ihr, Ehrwürdige Mutter, von der Idee, dass die Damen möglicherweise entführt worden sind? Vielleicht hat man sie gezwungen, ihre Wertsachen den Entführern auszuliefern?«
»Was für ein Unsinn, Schwester! Eine gewaltsame Entführung bei hellem Tage! Warum hätten die drei denn nicht um Hilfe gerufen?«
Madame Angélique des Anges ließ sich nicht hinters Licht führen. Ihre Vögelchen waren ausgeflogen. Höchst ärgerlich das Ganze. Und sie hatte sich bereits Gedanken über die Höhe des zu erzielenden Lösegeldes gemacht, welches sie für diese »Feindinnen« Frankreichs hätte verlangen können. Es wäre ihr zudem nicht allzu schwer gefallen, die Frauen beim Kardinal in Misskredit zu bringen …
›Hängt diese überraschend inszenierte Flucht womöglich mit der Ankunft des Chevaliers heute Mittag zusammen?‹, überlegte die Äbtissin. ›Wenn ich es recht bedenke, war Monsieur de Grenelles über die Begegnung mit der Comtesse de Bréteuil sehr unangenehm berührt. Und wieso hat sie steif und fest behauptet, ihn zu kennen, obwohl er es
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