Die Hexengraefin
geschwungenen Freitreppe inmitten eines als herrschaftlich zu bezeichnenden Parks.
Munzinger, ein dicklicher Mann Anfang fünfzig, mit schütterem, mausgrauem Haar ließ Adelheid ebenfalls erst einmal eine geraume Weile warten, ehe er sich dazu bereitfand, das adlige Fräulein zu empfangen.
»Mein Mann, der Ehrenwerte Oberste Richter, ist bis über beide Ohren mit den Akten der allerschwierigsten Fälle eingedeckt«, ließ dessen Ehefrau, eine hagere, langnasige und wichtigtuerische Weibsperson, die Gräfin wissen.
Adelheid machte ein hochmütiges Gesicht und übte sich in Geduld, obwohl sie innerlich kochte. Als der Richter dann endlich erschien, wollte auch er sich auf Arbeitsüberlastung hinausreden, aber Adelheids scharfen Augen waren die Krümel vom erst kürzlich genossenen Morgenmahl des Mannes in seinen Mundwinkeln nicht verborgen geblieben.
»Ich bedauere sehr, Euch beim Frühstück gestört zu haben«, sagte sie daher zu ihm. Sollte er ruhig wissen, dass sie nicht so dumm war, ihm seine Ausrede von der vielen Arbeit abzukaufen. »Ich will es kurz machen«, fuhr sie dann fort. »Eure Frau hat mir gesagt, Ihr hättet sehr viel zu tun. Nun wohl, von einem dieser leidigen Fälle vermag ich Euch umgehend zu befreien: Die ›Causa Helene Hagenbusch‹ ist gegenstandslos. Seid versichert, verehrter Richter, dass an den unsinnigen Behauptungen irgendwelcher obskurer Zeugen absolut nichts dran ist. Ich selbst verbürge mich persönlich für die Lauterkeit der genannten Jungfer«, fügte sie energisch hinzu.
KAPITEL 9
DER OBERSTE RICHTER zeigte sich sichtlich bemüht, der jungen Dame Auskunft zu erteilen – wie er überhaupt bestrebt schien, sie nicht unnötig zu verärgern. Was Adelheid allerdings von Bertold Munzinger erfuhr, war geeignet, ihr eisige Schauer des Entsetzens über den Rücken laufen zu lassen.
Zwei alte Witfrauen – er zögerte nicht, der jungen Gräfin die Namen mitzuteilen, obgleich das gegen die Vorschrift war, wie er betonte – hatten behauptet, die Jungfer Hagenbusch am Hexentanzplatz am Kandel, einem Berg im Schwarzwald, gesehen zu haben, wo sie mit dem »Bösen« nicht nur getanzt, sondern auch Unzucht getrieben habe.
Eine dritte Frau, die achtundzwanzigjährige Magd des Bauern Klaus Bentele, habe ausgesagt, sie habe das Helen beim »Hagelmachen« beobachtet, außerdem habe sie ihrem Herrn, dem Bentele, zwei gute Milchkühe verhext, sodass die Tiere jetzt keinen Tropfen Milch mehr gäben.
Als vierten Zeugen benannte der Oberrichter einen Störschneider, der beobachtet haben wollte, wie die Tochter des Schultheißen über ein kleines Nachbarskind einen »Zauber« gesprochen habe. Seitdem kränkle das zweijährige Mädchen nachweislich.
Bei dem fünften Zeugen schließlich handelte es sich um den zwanzigjährigen Hannes Leiblein, einen Neffen der ehrenwerten Jungfer Marthe Schnewlin, dem sie angeblich einen lahmen Arm angehext habe.
Adelheid war entsetzt. Wie war dieser Irrsinn möglich? Gleichzeitig erkannte sie, dass sie es wahrscheinlich nie allein schaffen würde, ihre Freundin aus den Klauen dieser vermaledeiten Justiz zu erretten. Dieses Netz war in der Tat sehr fein gesponnen, um den Untergang Helene Hagenbuschs herbeizuführen. Aber weshalb nur?
Die Tatsache, dass die beiden Alten das Helen auf dem Berg Kandel gesehen haben wollten, bewies Adelheid, dass man die zwei Witwen anklagte, selbst dort gewesen zu sein. Also betrachtete man auch sie als »Hexen« und hatte diese irrwitzigen Angaben mit der Folter aus ihnen herausgepresst.
Was nun die Magd betraf, so handelte es sich bei ihrem Herrn um einen reichen Weinbauern und den schärfsten Konkurrenten von Hagenbusch, und Adelheid hätte gewettet, dass der neidische Bentele seine Leibeigene zu der lächerlichen Falschaussage angestiftet hatte.
Und was den Störschneider anging, so wusste Adelheid, dass ihn das Helen kürzlich des elterlichen Hofes verwiesen hatte, als sie ihn dabei erwischte, wie er in einer dunklen Stallecke seine steife Rute in den kleinen Hintern ihres jüngsten Knechtes, des zwölfjährigen, sich verzweifelt wehrenden Jaköble, zu zwängen versucht hatte.
Verlegen und zugleich ein ganz klein wenig amüsiert hatte ihre Freundin ihr das neulich erzählt; die jungen Mädchen hatten sogar ein bisschen darüber gelacht, ohne zu ahnen, dass der rachsüchtige Schneider es wagen würde, zur Obrigkeit zu laufen und gefährliche Lügenmärchen zu verbreiten. Dass das Nachbarskind krank war, hatte gewiss nicht
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