Die Hexengraefin
und der unbeschreibliche Dreck, in welchem man die Eingesperrten verkommen ließ, widerte sie an.
Durch die winzigen, vergitterten Luken unter der Decke konnte kaum ein Sonnenstrahl ins Innere der engen Zellen gelangen und bei trübem Wetter war es auch bei hellem Tage düster, sodass man kaum unterscheiden konnte, ob es Tag oder Nacht war.
Das schimmelige, faulende Stroh wurde so gut wie nie gewechselt; es war eine Brutstätte für Ratten, die von den Abfällen und den Exkrementen der Eingesperrten lebten, sofern sie dieselben nicht direkt anknabberten, sobald diese von den Torturen zu geschwächt waren, um sich gegen die scharfzahnigen Biester wehren zu können. Nur in den seltensten Fällen bewilligte man den Eingekerkerten einen Kübel für ihre Notdurft.
Allein Munzinger, der den Hänsele-Turm nur mit einem mit Parfüm getränkten Taschentuch vor dem Gesicht betreten und die ganze Zeit vor Ekel Grimassen gezogen hatte, hatte Helene es zu verdanken, dass ihr von einem mürrischen Wärter ein altes Holzschaff hingestellt wurde, welches sie als Abort benutzen konnte.
Auch die unsinnige Fesselung, die ihr als angeblicher Hexe eine Bodenhaftung verwehren sollte, wurde auf Befehl des Richters aufgehoben. Stattdessen wurde ihr ein fast genauso schmerzendes Halseisen samt einer engen, scheuernden Fußfessel angelegt. Die Hände hatte sie dadurch nun frei, und sie konnte sich wenigstens auf das verfaulte Stroh legen.
Mit angewidertem Blick hatte Bertold Munzinger, nachdem er barsch vom Gefängnisaufseher nach Licht verlangt hatte, einen Blick auf Helenes Abendbrot geworfen. Es war dies eine dünne, vertrocknete Scheibe Brot, welche auf der verdreckten Streu lag und abgestandenes Wasser in einem angeschlagenen Tonkrug.
Helene hatte nichts angerührt – wer wollte ihr das verdenken?
»Ihr müsst essen, Jungfer. Seht zu, dass Ihr bei Kräften bleibt. Niemandem ist gedient, wenn Ihr Hungers sterbt«, redete er mit falscher Besorgtheit der Unglücklichen gut zu.
Die Angesprochene schwieg zu diesem Hohn, und Munzinger nahm sich Zeit, die der Hexerei Bezichtigte genauer in Augenschein zu nehmen.
›Wieder eine, die den Weg ins Feuer nehmen wird‹, dachte er ziemlich gleichgültig. Es wäre zwar schade um das schöne Kind, aber wenn es doch eine Hexe war? Er glaubte mit allen Fasern seines Herzens daran, dass die Art der Prozessführung, welche er in solchen Fällen gemäß seinen juristischen Vorgaben zur Anwendung brachte, mit allen göttlichen und weltlichen Gesetzesvorschriften in völligem Einklang stünde.
Er musste daran glauben – war er doch seit Jahrzehnten, seit Beginn der Ausübung seines schweren, verantwortungsvollen Richteramtes, so verfahren. Wonach er sich buchstabengetreu zu richten pflegte, waren die exakten Anweisungen aus dem Hexenhammer.
Dieser war gleichsam der Katechismus aller Hexenrichter, verfasst von zwei Mönchen, beglaubigt, belobigt und unterstützt von mehreren Päpsten.
Ja, ein Papst war es schließlich gewesen, der Heilige Vater, Innozenz VIII., der am 5. Dezember 1484 die sogenannte »Hexenbulle« erlassen hatte, worin ausdrücklich erklärt wurde, dass es erstens Hexen gäbe und dass man zweitens selbige verfolgen und ausrotten müsste.
Diese Bulle, welche Munzinger auswendig im genauen Wortlaut auf Latein aufsagen konnte, hatte die beiden Inquisitoren, Heinrich Institoris und Jakob Sprenger, seinerzeit ermächtigt, mit apostolischem Segen ausgerüstet, ihr Amt als Hexenverfolger und -vernichter auszuüben.
Beide zusammen hatten den Malleus maleficarum, den Hexenhammer, verfasst, der 1487 in Straßburg – mit der Genehmigung der theologischen Fakultät in Köln – erschienen war. Das Werk gliederte sich in drei Teile, wobei die ersten beiden das Hexentreiben und die »Teufelsbuhlschaft« (gemeint war der geschlechtliche Verkehr der Hexe mit dem Satan) schilderten und der dritte Abschnitt sich mit den Vorschriften für die geistlichen und weltlichen Richter bei der Führung von Hexenprozessen befasste. Einer der wichtigsten Sätze gleich zu Anfang lautete:
»Das Leugnen der Wirklichkeit der Hexerei ist Ketzerei.«
Dass der Hexenhammer sich als trauriger Höhepunkt der feindseligen Haltung gegen Frauen auszeichnete, wenn darin etwa das Weib als Ausbund alles Bösen und als Werkzeug des Teufels dargestellt wurde, störte niemanden oder nur ganz wenige. Weshalb sollte sich also ausgerechnet ein Bertold Munzinger daran stoßen?
Als Rechtfertigungen dienten unter anderem die
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