Die Hexengraefin
auf den Steinboden fiel und sich dabei den rechten Unterarm brach. Die Knechte entfernten die Steingewichte von ihren Füßen und lösten die Fesselung ihrer Hände. Die Schultergelenke hatten bereits begonnen anzuschwellen, und der Nachrichter hatte Mühe, Helenes Arme wieder einzurenken. Mit deutlichem Knacken sprangen die Armkugeln schließlich in ihre Pfannen zurück und das Mädchen erwachte mit einem furchtbaren Schmerzensschrei.
»Was ist, gibst du jetzt zu, den kleinen Sohn der Magd deines Vaters umgebracht zu haben, du Hexenluder?«, wollte ungerührt der Richter Ewald Winterling wissen. Wie durch einen roten Schleier nahm Helene diesen widerlichen Mann wahr.
»Ja, ich gebe alles zu, alles, was Ihr nur wollt«, konnte sie noch flüstern, dann fiel sie erneut in eine tiefe Ohnmacht.
Die Zwölfer sowie der Oberste Richter nebst Schreiber und Geistlichem begaben sich nun in ein nahebei gelegenes Gasthaus, um ein verspätetes, üppiges Mittagsmahl einzunehmen.
»Lang genug hat’s ja gedauert, bis diese Satansbraut weich geworden ist«, sagte der Munzinger grinsend, und die übrigen Herren lachten.
Das Essen verlief weitgehend heiter, auch der Wein mundete den Leuten vom Gericht vortrefflich.
Mit vollen Backen kauend ließ sich schließlich einer der Richter zu einer delikaten Frage an den Munzinger hinreißen: »Wie steht es eigentlich mit Beweisen für die Behauptung, die Hexe hätte das kleine Büble der Magd erwürgt? Ich habe im Hexenhammer gelesen, dass als Voraussetzung für einen solchen Vorwurf, der Nachweis eines corpus delicti geführt werden muss. Haben wir denn die Leiche des Kindes? Und nützt es etwas, sie nach fünf Jahren wieder auszugraben? Die Würmer werden nicht viel davon übrig gelassen haben.«
Der Munzinger winkte großspurig ab. »Das brauchen wir nicht. Hauptsache ist, die Hexe gesteht die Tat«, sagte er und wandte sich wieder seinem delikaten Kalbsbraten zu.
Doch sein Kollege war mit der Antwort nicht zufrieden. »Im Hexenhammer steht außerdem, dass selbst eine eingestandene Tat als solche bereits gewiss und erwiesen sein muss.«
Jetzt reichte es dem Munzinger. Umständlich wischte er sich die fettige Bratensoße vom Kinn, dann fasste er den unbequemen Stänkerer fest ins Auge. »Ehrenwerter Kollege, seid versichert, auch ich kenne den Hexenhammer in- und auswendig – und nicht allein dieses Werk. Wenn Ihr Euch die Mühe gegeben hättet, weiterzulesen«, grollte er, »wäret Ihr auf jene Stelle gestoßen, wo ganz deutlich steht: ›Bei geheimen Verbrechen wird der auf Mutmaßung beruhende Beweis wie ein vollständiger behandelt.‹ Sonst noch Fragen?«, endete er mit schneidender Stimme.
Der penetrante Zwölfer war mit dieser Argumentation endgültig mundtot gemacht, und das Essen konnte nunmehr ungestört beendet werden.
Das Scheusal, der Henker Martin Scheible, der mit Recht als unehrlich galt, wie alle Männer seines Gewerbes, und von jedermann gemieden wurde und Hass und Widerwillen gegen seine Mitmenschen hegte, sorgte dafür, dass seine Gefangene aus ihrer erneuten Ohnmacht erwachte und nicht wieder bewusstlos wurde, indem er sie mehrmals mit eiskaltem Wasser übergoss.
Als Nächstes zwang er ihr einen stark gesalzenen Mehlbrei in den Mund, um ihr Durst zu machen, verweigerte ihr jedoch einen Trunk Wasser. Dafür überschüttete er die Unglückliche mit Beleidigungen und Drohungen: »Hässliche Hexenbrut, du wirst so lang von mir torquiert werden, bis du so dünn bist, dass die Sonne durch dich durchscheinen kann.«
Eigentlich war es Vorschrift, dass die Folter an den Inquisiten nicht wiederholt werden durfte – allein keiner der Hexenrichter kümmerte sich darum. So hatte auch der Munzinger ein Schlupfloch gefunden, wie er die rechtlichen Bestimmungen zu umgehen vermochte.
»Zur Ehre Gottes wird so ein klitzekleiner Betrug wohl erlaubt sein«, hatte er mit hinterhältigem Grinsen dem Scheible versichert und so nannte man die Wiederholung der Tortur nach kurzer Pause eben nicht Wiederholung, sondern – Fortsetzung.
»Falls du dir einfallen lassen solltest, vor dem ehrenwerten Gericht heute Nachmittag wieder alles abzustreiten, wird Meister Scheible erneut seine Kunst an dir vollführen«, hatte Pater Damian dem hilflos auf den kalten Steinen liegenden und wimmernden Bündel Mensch angedroht, ehe auch er zum Mittagessen gegangen war.
»Ich will alles gestehen, Ihr Herren, alles, was Ihr wollt«, hatte Helene so leise geflüstert, dass man sie kaum
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