Die Hexenjagd von Salem Falls
war.
Ihr Vater hatte sie den ganzen Nachmittag und Abend nicht aus den Augen gelassen; dann war er Joggen gewesen, und sie mußte ihm hoch und heilig versprechen, daß sie das Haus nicht verließ, solange er nicht da war. Jetzt ertränkte sie ihren Kummer in den Songs von Sarah McLachlan und lackierte sich die Fingernägel blutrot, als das Telefon klingelte. Whitneys Stimme fragte: »Gil, wie spät heute abend?«
Gillian seufzte. Sie hatte jetzt keine Lust, sich mit ihren Freundinnen abzugeben. Sie wollte in Ruhe überlegen, wie sie ihren Vater davon abhalten konnte, bei ihr den Wachhund zu spielen, damit sie Jack endlich zeigen konnte, was ihm fehlte. »Wie spät was?«
»Das Treffen .«
»Das Treffen…«
»Ich könnte schwören, daß wir den dreißigsten April vereinbart haben.«
Jetzt erinnerte sie sich. »Ach ja, Beltane«, sagte Gilly.
»Hast du’s etwa vergessen?«
Gillian hatte es eigentlich nicht vergessen; sie war nur mit ihren Gedanken ganz bei Jack gewesen. Ihr Coven hatte ausgemacht, daß sie sich hinter dem Friedhof treffen würden, an dem blühenden Hartriegelbaum. Meg wollte Feuerholz mitbringen, Whit war für die Kräutersäckchen zuständig, die sie als Geschenk für den Gott und die Göttin in den Baum hängen wollten, und Chelsea sollte einen Maibaum besorgen. Gilly hatte das Schlichte Fest übernommen, die gemeinsame Einnahme von Speis und Trank innerhalb des magischen Kreises.
Ihr Vater wäre außer sich, wenn sie sich nachts aus dem Haus schlich.
Ihr Blick fiel auf eine kleine Keramikvase, die einst ihrer Mutter gehört hatte. Darin lag das Röhrchen Atropin, das sie aus dem Labor hatte mitgehen lassen.
»Um elf«, sagte sie ins Telefon. »Pünktlich.«
Sie fielen ihn von hinten an. Kaum war Jack aus dem kleinen Lichtkreis der Laterne neben der Tür getreten, als er auch schon gepackt wurde; man riß ihm die Arme auf den Rücken und schlug ihn mit Fäusten in die Rippen, den Bauch, das Gesicht. Blut lief ihm in die Kehle, schmeckte nach Metall; er bespuckte seine Angreifer damit. Er suchte nach ihren Gesichtern, um sie sich einzuprägen, aber sie trugen Wollmützen, die sie tief heruntergezogen hatten, und hochgezogene Schals; Jack konnte nur ein Meer aus Schwarz sehen, mehrere Hände und eine wütende Welle nach der anderen überrollte ihn.
Addie bürstete sich die Haare und sprühte dann ein wenig Parfüm auf Handgelenke, Knie und Bauchnabel. Jack war schon eine Weile weg, was merkwürdig war; noch merkwürdiger war, daß sie ab und an ein lautes Geräusch hörte. Wenn das Waschbären waren, dann aber ziemlich viele.
Sie ging ans Schlafzimmerfenster und zog den Vorhang auf. Es war dunkel, und zunächst konnte sie keine Spur von Jack entdecken. Dann tauchte am Rand des gelben Lichtkegels der Verandalampe ein Fuß auf. Ein Ellbogen. Schließlich der ganze Körper eines in Schwarz gekleideten Mannes, die Hände leuchtend rot vor Blut.
»Jack«, keuchte sie und holte das Gewehr hervor, das sie unter dem Bett aufbewahrte. Sie hatte es einmal in zwanzig Jahren benutzt – um einen tollwütigen Waschbären zu erlegen, der in den Garten gekommen war, als Chloe dort spielte. Sie lud es im Laufen, hastete die Treppe hinunter, und sobald sie die Verandatür aufgerissen hatte, feuerte sie einen Schuß in den Nachthimmel. Fünf Köpfe drehten sich ihr zu, dann rannten die Männer in verschiedene Richtungen in den Wald hinter ihrem Haus, hinterließen Spuren wie die Speichen eines Rades.
Auf dem Kies lag Jack, ein schlaffes, blutiges Bündel.
Addie stellte das Gewehr ab, lief zu ihm und drehte ihn behutsam um. Oh, Gott , dachte sie. Was haben sie mit dir gemacht ?
Jack hustete, und als seine Lippen sich öffneten, glänzten seine Zähne von Blut. Er versuchte, sich aufzusetzen, zuckte vor Addies Händen zurück. »Nein«, stieß er knirschend hervor. »Nein! «
Weil sie sich auf keinen Fall selbst vergiften wollte, ging Gilly um Viertel nach acht ins Internet, um sich kundig zu machen, welche Atropindosierung die richtige war. Im Web fand man sogar Anweisungen zum Bau einer Bombe. Da müßte es doch ein Kinderspiel sein herauszufinden, welche Menge Halluzinogen notwendig war, um high zu werden.
Schließlich fand sie eine Liste mit den Dosierungen für Erwachsene. Zur innerlichen Anwendung, 1 / 20 bis 1 / 100 Gran. Gilly runzelte die Stirn. Eine ganz schöne Spanne. Vielleicht sollte sie 1 / 20 Gran nehmen und Whitney, die klein war, nur 1 / 100 ?
Das Telefon klingelte wieder.
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