Die Hexenjagd von Salem Falls
Stechen im Arm. Ein Herzinfarkt – o Gott, er bekam einen Herzinfarkt. »Wache!« brüllte er aus voller Lunge. Er rüttelte so fest an dem Metallbett, daß die Scharniere, mit denen es an der Wand befestigt war, klapperten. »Hilfe!«
Aber niemand hörte ihn – jedenfalls kam niemand.
Er zwang sich, seine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren als auf den Schmerz. Etwas, das jemand meidet, der an Pogonophobie leidet.
Konzentrier dich, Jack. Was sind Bärte?
Die einzige Nahrung, die eine Fettkrautpflanze verträgt.
Einatmen. Ausatmen. Was sind Insekten?
Etwas, wovon ein Arctophilist sicherlich eine ganze Sammlung hat.
Was sind Teddybären?
Er legte die Hände flach auf die Brust, und der Schmerz ließ allmählich nach und hörte schließlich auf. Und er war eigentlich nicht überrascht, als er merkte, daß er seinen Herzschlag nicht mehr spürte.
Gillian sah zu, wie die Kerzenflamme mit einem Zischen im flüssigen Wachs versank. Ein Zettel, auf dem der Name ihrer Mutter stand, verbrannte in einer Silberschale zu Asche. Gillian starrte auf die Kerze, auf den selbstgemachten Altar. Vielleicht kommt sie deshalb nicht, weil sie den Menschen nicht ausstehen kann, der ich geworden bin .
Der Gedanke war ihr nicht neu, aber heute zwang er sie fast in die Knie. Langsam stand sie auf und ging zum Spiegel. Sie nahm eine Schere und hob eine dicke Strähne ihres roten Haares hoch. Sie schnitt sie dicht am Kopf ab, so daß nur noch ein kleines Büschel hochstand, der Rest fiel wie ein Seidenschal zu Boden.
Sie hob wieder eine Strähne und schnitt sie ab. Und noch eine. Bis ihr Schädel mit unregelmäßigen Stacheln bedeckt war, kurz wie bei einem Jungen. Bis ihre nackten Füße voller Haare waren, eine Grube kastanienfarbener Schlangen. Bis ihr Kopf sich so leicht und frei anfühlte, daß Gilly meinte, er würde sich wie ein Luftballon von ihrem Hals heben und in weite Ferne davonfliegen.
So, dachte sie, jetzt würde er mich keines Blickes mehr würdigen .
Der Besprechungsraum in der Strafanstalt war schmal und häßlich, auf einem zerkratzten Tisch lag ein Stapel lädierter Gesetzesbücher, die Fenster konnten nicht geöffnet werden, und die Temperatur lag mindestens bei dreißig Grad. Jordan saß auf einem der beiden Stühle, trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und wartete, daß Jack St. Bride hereingeführt wurde.
St. Bride war wirklich ein Versager – wie konnte sich jemand bloß zweimal in eine ähnliche Situation bringen? Und jetzt hatte Jack sich auch noch binnen einer Stunde, seit er hier war, drei Tage Einzelhaft eingehandelt … wie sollte man so jemanden verteidigen?
Ein Wärter stieß Jack herein. Er stolperte einmal und blickte dann über die Schulter. »Gut zu wissen, daß die Genfer Konventionen hier nicht gelten«, knurrte er.
»Wieso auch? Wir sind hier nicht im Krieg, Jack. Obwohl gemunkelt wird, Sie hätten gleich bei Ihrer Einlieferung die Schlacht eröffnet.« Jordan stand schwungvoll auf. »Ehrlich gesagt, bin ich nicht gerade begeistert, daß Sie schon nach einem Tag in Einzelhaft sitzen. Ich mußte mir bei den Wärtern den Mund fusselig reden, damit ich hier mit Ihnen sprechen kann statt durch die Klappe in der Zellentür. Wenn Sie hier den Aufmüpfigen spielen wollen, von mir aus – aber Sie sollten sich darüber im klaren sein, daß der Staatsanwaltschaft alles zu Ohren kommt, was Sie hier sagen und tun, und das könnte sich negativ auf Ihr Verfahren auswirken.«
Der kleine Vortrag sollte Jack eine Heidenangst einjagen, ihn zu gutem Betragen zwingen. Doch Jack setzte bloß eine eiserne Miene auf. »Ich bin kein verurteilter Gefängnisinsasse.«
Jordan ging nicht darauf ein. Er kannte das, seine Mandanten waren hervorragende Selbstverleugner. »Um an unser gestriges Gespräch anzuknüpfen, Sie sind wegen einer schweren Sexualstraftat angeklagt. Wollen Sie auf schuldig plädieren?«
Jack klappte der Unterkiefer herunter. »Soll das ein Witz sein?«
»Bei Ihrer letzten Anklage haben Sie das auch getan.«
»Aber das … das war…« Jack blieben die Worte im Halse stecken. »Da war ich zu Unrecht angeklagt worden. Und mein Anwalt hat gemeint, es wäre die sicherste Strategie.«
Jordan nickte. »Damit hatte er recht.«
»Wollen Sie nicht wissen, ob ich die Tat begangen habe, die mir vorgeworfen wird?«
»Als Ihr Verteidiger spielt das für mich keine entscheidende Rolle.«
»Aber für mich .« Jack beugte sich über den Tisch, bis er direkt vor Jordans Gesicht war. »Ich
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