Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
überirdischen Heimat. . .
„Tante Anna, da hat sich eine seraphische Seele aus ihrem Erdenkörper gelöst. Jetzt ist sie dem Himmel noch näher.“
„Ja, meine Liebe, das sehe ich ebenso.“
Kapitel 5
Ab 1553 - Küche und Schule
Schöffer, Peter
Der lateinische Herbarius, 1484
S eit ich mich nicht mehr hinter meinem immer blonder gewordenen Haar verstecken musste, gewann ich an Sicherheit. Ebenso an Daseins- und Unternehmungsfreude, was aber auch am alles belebenden Wonnemond lag, der gerade seine verschwenderische Pracht entfaltete. Wo man hinsah frisches Grün, weißer und lila Flieder blühte auf, die Kastanien schmückten sich mit Blütenkerzen, und die Blumenbeete wurden täglich bunter. Noch immer unfassbar für mich, das jetzt mit beiden Augen bewundern zu können.
Wenn mir die Natur doch ein wenig von ihrer Schönheit abgäbe. Gewiss, wie von Palmatia angekündigt, waren die Nonnen ehrlich erstaunt, als ich vor zwei Monden erstmalig mit auch linksseitig freiem Gesicht den Speiseraum betreten hatte.
„Welch erfreulicher Anblick, unsere Tora!“
„Ja, mit einem hübschen, jugendfrischen Gesicht überrascht sie uns heute.“
„Und diese Augen darin, wie zwei Bergseen!“
Solche Reden hatte ich über mich ergehen lassen müssen, wobei mich die maskuline Priorin Notburga stumm staunend von oben bis unten gemustert und ihren Blick erst nach Aufforderung der Äbtissin wieder von mir gelöst hatte. Die spärliche Braue wie auch die nicht behandelten Narben hatten die Nonnen taktvoll übersehen, schon deshalb war ihre Beurteilung zwar lieb gemeint, doch maßlos übertrieben.
In der Küche hatte ich mit meinem freien Gesicht kaum Aufsehen erregt, einige neugierige Blicke der Köchinnen und Mägde, eine aufmunternde Bemerkung von Gerlinde, und damit war alles abgetan.
Inzwischen hatte ich es allerdings nicht mehr alleine mit meinem Narbengesicht und dem mimosenhaften Verstand zu tun, denn seit kurzem wuchs mein Haar rot nach, durchsetzt von dünnen blonden Strähnen, es sah aus, als beginne es von den Wurzeln her zu rosten. Mithin war ich nun in mehrfacher Hinsicht eine sonderbare, um nicht zu sagen urige, Ausgabe der Gattung Mensch und fragte mich, weshalb die Natur solches Schelmenspiel mit mir trieb. Jedenfalls ließ ich mich jetzt nur noch mit Kopfbedeckung blicken, mein seltsamer Haaransatz ging niemanden etwas an - nicht auch noch das!
I n vier Monden werde ich mein Studium antreten, und die dafür notwendige Adelsgarderobe hing bereits in meinem neuen, großen Kleiderkasten. Die Äbtissin kannte mein Bangen vor dem Schulbeginn, weshalb sie mir zuredete: „Schwester Mira und Schwester Elisabeth, die beiden Lehrerinnen, werden dich mit Feingefühl einführen, Tora. Und am Religionsunterricht, natürlich ein katholischer, musst du nicht teilnehmen, wenn du nicht magst.“
Das nahm mir zwar einen Teil meiner Furcht, doch ich war auf eine Idee gekommen, die ich ihr jetzt vortrug: „Es würde mir die Angelegenheit vereinfachen, wenn ich die Studenten vorher mit etwas Abstand kennen lerne. Sie erhalten doch manchmal Unterricht in der Bibliothek und im Labor, und . .“
„Verstehe“, unterbrach sie mich lächelnd, „willst zuvor dort Mäuschen spielen. Schön, bis zum Ferienbeginn hast du noch fünf Wochen die Gelegenheit dazu, dann nutze diese Zeit, Gerlinde wird dir die dafür notwendigen Stunden frei geben.“
„Danke, Tante Anna!“
A uf diese Weise lernte ich nun die Studenten etwas genauer kennen. Dienstags saßen sie stets im Lehrraum der Bibliothek, wo ihnen aus einem Buch vorgelesen wurde, das der Schule nicht ausgeliehen werden durfte, und anschließend wurde das Thema besprochen. Währenddessen saß ich stets in meiner neuen Fräuleinkleidung als Zuhörerin am Außenrand der hintersten Sitzreihe, völlig still, beteiligte mich nie an den Gesprächen, lauschte und beobachtete nur. Ähnlich donnerstags im Labor, auch hier sah ich lediglich zu, wenn die Studenten unter Anleitung der Apothekerinnen experimentierten. Doch so still ich mich auch nach außen gab, in mir herrschte stete Wachsamkeit, ich beobachtete viel und genau, teils auch mit übersinnlicher Wahrnehmung. Dabei fiel mir unangenehm auf, dass den noch sehr jungen Fräulein ihre Aufmachung über alles ging, sie überluden sich förmlich mit teuren Spitzen und Bändchen, und den Unterricht verträumten sie zeitweise mit romantischen Fantasien. Vermutlich studierten sie nur auf das elterliche Geheiß, sich ein wenig höhere
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