Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
auf mich ein, tupfte und zog weiterhin an der Haut und gestand mir dann: „Das waren bereits die beiden Schnitte, meine Liebe. - Oh, dir laufen ja die Tränen, war nur der Schreck, wie? War aber auch hinterhältig von mir, dich so zu überlisten. Ja, weine noch ein bisschen, das gehört dazu, ich versorge indessen die Wunden. Die Schnitte sind hervorragend gelungen, Tora, wenn du sie sehen könntest, müsstest du mich loben. Ich habe sie auch weit genug gedehnt, da wird sich bald schöne, junge Haut bilden. Schmerzt noch gewaltig, weiß ich, aber sicher freust du dich auch schon auf dein neues Gesicht.“
Ich wollte es ihr bestätigen, sie aber gebot mir Einhalt: „Nicht reden, du darfst vorläufig deine Gesichtshaut nicht bewegen. Ich weiß auch so, dass dein Herz zu lachen beginnt, dein großes, immer stärker werdendes Seelenherz. Hm, mein Liebes?“
Sie tupfte mir die Tränen von den Wangen, bedeckte die Wunden mit weichen Läppchen, und während sie mir zum Abschluss in der Höhe meiner Brauen einen Kopfverband anlegte, sagte sie: „Ich höre Gerlinde kommen, sie hat dir einen Zaubertee bereitet. Wenn du ihn zu dir genommen hast, wird der Schmerz nachlassen.“
Darauf griff ich zitternd nach ihren feinen, geschickten Arzthänden und drückte sie dankbar, wobei mir erneute Tränen über die Wangen rannen.
I n den folgenden Tagen war mein Gesicht eine stumme Maske, damit sich tadellose neue Haut bildet. Ich durfte nicht sprechen und beim Speisen meinen Mund nur so weit wie nötig öffnen. Beides gelang mir gut. Schwer dagegen fiel mir, die große Vorfreude auf ein mal annehmbares Aussehen, die stets mein Gesicht in die Breite ziehen wollte, zu bezwingen. Oh, war ich aufgeregt.
Palmatia wechselte täglich den Verband und war mit der Wundheilung zufrieden. Außer ihr, der Äbtissin und mir wusste niemand von der chirurgischen Korrektur, nicht einmal Magda. Die Schwestern, die mir die Speisen servierten, mein Waschwasser sowie das Nachtgeschirr auswechselten, wurden in dem Glauben gelassen, meine Verletzungen werden nun mit einem speziellen Öl behandelt, was mich zu absoluter Ruhe zwinge. Nicht ganz die Wahrheit, aber auch nicht gelogen, musste ich innerlich schmunzeln, für Nonnen wohl gerade noch vertretbar.
Meine Zeit erfüllte ich wieder mit Studieren der mir so wertvoll gewordenen Schriften. Zum Missfallen von Magda, die beide Autoren als nicht ausreichend gottgefällig ablehnte, fehlte nur noch, dass sie sie als Ketzer bezeichnete. Man überlege, Hildegard von Bingen war die Gründerin und Äbtissin unseres Mutterklosters gewesen. Mitunter schien mir Magdas Verstand noch skurriler zu sein als meiner. Aber nein, diese Auffassung drängte sich mir nur auf, da ich die Denkweise der ‚normalen’ Menschen oft nur schwerlich nachvollziehen konnte.
Mitunter grübelte ich auch über meine Zukunft. Mit zumindest halbwegs normalem Aussehen stiegen zwar meine Chancen, mein Elternhaus ausfindig zu machen, doch jetzt fragte ich mich, ob das ratsam wäre. Seit ich wusste, dass ich Opfer einer Vergewaltigung war, mutmaßte ich, meine Eltern hätten mich in diesem weit von meiner Heimat entfernten Kloster untergebracht, um mich vor jemandem zu verbergen. Vor dem Täter? Verdächtigten sie jemanden aus ihrer Nähe, der mir gefährlich werden könnte? Wer war der Täter? Neue Fragen über Fragen, durch die ich immer sicherer zu dem Schluss gelangte, meine Eltern werden mich, sowie sie es verantworten können, nach Hause holen. Ja, ich könne jeden Tag damit rechnen, dass sie mit ihrer Kutsche vor dem Klostertor stehen und sich bei der Pförtnerin nach mir erkundigen. Eine berauschende und, wie ich fand, durchaus berechtigte Vorstellung.
Daneben sorgte ich mich um Palmatia, sie wirkte täglich erschöpfter. Sicher überstieg es ihre Kräfte, neben ihrer Tätigkeit in der Ordination und der Ausübung ihrer Nonnenpflichten noch zusätzlich mich zu versorgen. Um sie zu entlasten bat ich sie, als ich nach fünf Tagen vorsichtig wieder sprechen durfte, mir den Verbandwechsel beizubringen, „dann könnte ich ihn selbst durchführen und hätte in meinem langweiligen Krankenzimmer etwas Beschäftigung.“
Entgegen meiner Erwartung ging sie widerspruchslos darauf ein, und nachdem sie mir vor dem Spiegel den Verband abgenommen hatte, erklärte sie mir: „Ist alles noch entzündet, aber wie du siehst, nimmt das Auge bereits eine runde Form an. Außerdem beginnen rotblonde Wimpern an seinen Lidern zu wachsen, passend zu deinen
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