Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
demnach hatte er die Oberstufe erreicht. Und ich konnte, als mir kurz nach ihm mein Zeugnis gereicht wurde, einen Jauchzer nicht unterdrücken, denn ich war ‚mit ausreichenden Leistungen’ in die Mittelstufe versetzt! Sebalde hingegen weinte ihre offenbar nicht ausreichenden Benotungen nass. Fünf der jungen Herren aus der Oberstufe indes, darunter auch Gisbert und Horst, strahlte Glück aus dem Gesicht, sie hatten alle Prüfungen bestanden, womit für sie das Studium beendet war. Und wenig später nahmen sie nach einigen feierlichen Worten der Lehrer und unter unserem Applaus ihre Apothekerdiplome entgegen. Wahrscheinlich war ich nicht die einzige, die sie auch ein wenig beneidete.
H ättest du nie gedacht, Schwester Magda, dass dein dummes hilfloses Kindchen bereits nach dem ersten Anlauf die Mittelstufe erreicht, wie? - Nein, hatte sie nicht für möglich gehalten, und sie konnte sich nicht beruhigen darüber, die Gute.
Während der Sommerferien stellte die Küche für mich die beste Erholung von der zurückliegenden Hirnartistik dar. Im Gegensatz zur Schule empfing ich hier von Gerlinde aufbauendes Lob, denn hier konnte ich einwandfrei mitdenken, am Herd kreativ wirken, und ich war imstande, Gerlinde vernünftige Antworten zu erteilen. Beispielsweise, als sie von mir wissen wollte: „Die Novizin Ruth plagt Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Bruder. Auf was müssen wir da bei ihren Speisen achten?“
Nach kurzem Besinnen zählte ich auf: „Wir dürfen ihr weder dunkles Fleisch, noch Lauchgewächse und auf keinen Fall Rüben servieren. Stattdessen gehören vorwiegend Salate und Getreidegerichte auf ihren Teller, gewürzt mit Muskat, auch mal mit Zimt und stets mit viel zerstoßenem Fenchelsamen. Außerdem wird ihr mit Ysop versetzte Hühnersuppe guttun.“
„Gut, sehr gut. Und welche Getränke?“
„Getränke, ja“, überlegte ich und meinte dann: „Alkalisierten Himbeersaft und abends einen Tee aus Galgant, Hagedorn und Hartheu, der wärmt das Herz.“
„Zu schwach, Tora. In ihrem Fall muss es abends eine gut mit Hypericum - du sollst dich doch stets der lateinischen Bezeichnungen bedienen - also mit Hypericum und Galium durchgezogene Weinschorle sein. Jeden Abend einen Becher davon, und ihr Blick wird sich bald wieder in die Höhe richten.“
Derartiges lernte ich bei Gerlinde. Sie kannte für jegliche Leiden, ob seelische oder körperliche, die passenden Küchenrezepte. Dabei vergaß sie auch nicht, mich zu ermahnen: „Als Klosterköchin musst du verantwortungsvoll mit deinem Wissensschatz umgehen, Tora. Niemals darfst du damit experimentieren, geschweige denn, einen Menschen nach deinen persönlichen Wünschen manipulieren, das wäre schwarze Hexerei, eine Tür, die wir niemals öffnen dürfen, nicht mal in Gedanken.“
Diese Erläuterung senkte sich in mein Inneres und veranlasste mich einige Tage später zu der Frage: „Meisterin Gerlinde, werden Frauen wie du und die verstorbene Schwester Palmatia nicht als weiße Hexen oder auch als weise Frauen bezeichnet? Ich habe das bei Paracelsus gelesen, der vor diesen Frauen, nicht nur wegen ihres Könnens, sondern auch wegen ihrer Intuitionen, tief seinen Hut gezogen hat.“
„Bei Paracelsus“, wiederholte Gerlinde versonnen, bevor sie mir antwortete: „Ja, Tora, so nennt man uns. Allerdings hinter vorgehaltener Hand, denn den Inquisitoren sind Heilerinnen ein besonders gefährlicher Dorn im Auge. Du hast Paracelsus’ Aufzeichnungen gelesen?“
„Nicht nur gelesen, Meisterin, ich habe sie studiert.“
Ihr Blick wurde abermals versonnen, als sie mir darauf eröffnete: „Er war Palmatias und mein Lehrmeister, wir waren achtzehn Monde lang seine Schülerinnen. Die erfüllteste Zeit meines Lebens.“
„Paracelsus war das“, erstaunte ich und begriff sogleich, daher rührte Palmatias und Gerlindes erstaunliches Können wie auch ihre Charakterstärke. Einstige Schülerinnen von Meister Paracelsus! Und ich durfte bei Gerlinde lernen. Nur ihre Vertreterin Ursula und mich weihte sie in ihre Künste ein. Wahrlich ein Unterschied zu dem trockenen Lehrstoff in unserer Schule.
Z u meiner Freude soll der Schulunterricht nach den Ferien lebendiger werden, da den Studenten von der Mittelstufe an draußen im Freien das Suchen und Bestimmen von Heilpflanzen beigebracht wird. Draußen im Freien, ich konnte es kaum erwarten. Ob mich die Welt außerhalb der Mauern ebenso befremden wird wie das Klosterleben? Ich war gespannt. Allerdings auch verunsichert, da
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