Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
ausgebildete Soldaten waren. Sie erhoben ihre Waffen nicht nur für ihre eigenen Interessen, sondern hatten auch die Armee ihres Bischofs bei Kriegszügen zu unterstützen. Mehr noch, selbst der Papst, unser heiliger Vater, befahl ein scharf geschultes Soldatenheer. Widersprach das denn nicht ihrer Lehre? Hatten mir die Nonnen Falsches beigebracht?
„Nicht wissentlich“, beantwortete mir Angelika diese Frage, „denn selbst wenn es sich bei diesen Kriegen offenkundig um die Erweiterung ihrer Ländereien, um neue Lehnschaften, Städte, Zollrechte oder sonstige Einnahmequellen handelt, vermeinen unsere Schwestern, diese gesegneten Heere verteidigten nichts als unseren Glauben.“
Ich musste mich fragen, ob nur unsere Schwestern oder gar alle Menschen dieser Auffassung waren. Und das war bei Weitem nicht die einzige Frage, die sich mir aufdrängte. Je mehr ich vom Weltgeschehen erfuhr, umso verwirrter wurde ich, nur noch selten glückte mir fortan ein logisches Begreifen.
An einem der letzten Ferientage begleitete mich abermals Angelika bei meinem Ausflug. Zunächst lauschte ich wie stets ihren Erläuterungen, doch je höher wir heute wieder den Hügel mit dem herrlichen Fernblick hinaufgelangten, desto wortkarger wurde sie, und als wir uns auf dem Gipfel nebeneinander ins Gras niedergelassen hatten, schwieg sie beklommen. Deshalb erkundete ich ihre Aura und entdeckte darin ein noch nie wahrgenommenes Farbbild - rosarot, umgeben, nein, schmerzhaft erdrückt von dunklem Grau. Rosarot zeugt von liebevoller Zuneigung und Dunkelgrau von Hoffnungslosigkeit. Demnach litt sie an Liebeskummer. Auf den Gedanken, eine Nonne könne Liebeskummer plagen, wäre ich nimmer gekommen. Ich wollte ihr helfen, wusste aber im selben Moment, dass jedes Wort jetzt das falsche sein konnte. Deshalb rückte ich nur näher zu ihr und lehnte sanft meinen Oberarm an ihren. Doch auch das war schon zuviel, die Berührung löste Tränen bei ihr aus, lautlose Tränen. Ich tupfte mit meinem Taschentuch ihr junges Nonnengesicht trocken, um ihre schöne Ausgehtracht vor verräterischen Wasserflecken zu bewahren, wobei ich ihr mehrmals tröstend mit dem Zeigefinger über die Wange strich.
Langsam versiegte ihr Tränenfluss, und ich hörte sie flüstern: „Danke, dein Trost tut gut.“
Noch eine Weile, dann sah sie mich verschämt mit ihren verweinten Augen an und meinte: „Du kannst nicht verstehen, dass man um seinen verlorenen Liebsten weint, warst ja nie in dieser Situation. Wir Nonnen haben alle ein Vorleben, Tora, in dem fast immer ein Mann vorkommt, nur ich kann und kann den meinen nicht vergessen.“
„Du warst verheiratet?“
„Nein, aber beinahe.“
Da mir auffiel, dass Reden ihr gut tat, erkundigte ich mich: „Wer war er? Wie hieß er?“
„Willibald“, hauchte sie, holte ihr Taschentuch hervor, putzte sich die Nase und wiederholte zärtlich seinen Namen: „Willibald. Er ist der älteste Sohn unseres Grafen.“
„Ihr habt euch geliebt? Habt heiraten wollen?“
„Ja“, bestätigte sie, „aber seine Mutter hat es kurz vor ihrem Tod vereitelt. Nur weil die Grafenfamilie protestantisch geworden, unser Rittergeschlecht aber katholisch geblieben ist. Dabei war ich bereit, den protestantischen Glauben anzunehmen, doch sie behauptete, solch ein Glaubenswechsel würde niemanden überzeugen, die Gemahlin des künftigen Grafen von Zollern habe eine echte Lutheranerin zu sein. - Jetzt gibt es eine solche Gemahlin.“
Ich war nicht sicher, richtig verstanden zu haben, weshalb ich nachfragte: „Hat dein Willibald denn eine andere geheiratet?“
Ihrer Stimme schlich sich etwas Hartes bei: „Ja, hat er. Vor zwei Jahren. Aber weiß Gott nicht freiwillig, seine Mutter hat auch das noch arrangiert, hat die Verlobung noch in die Wege geleitet. Dann wurde sie Opfer des seinerzeit hier um sich greifenden schwarzen Todes. Und heute gibt es drei unglückliche Menschen - Willibald, seine junge Gattin Elvira und mich. Die beiden haben sich nie geliebt, sie passen gar nicht zusammen, mein stiller Willibald und die lebenslustige Elvira. Er sehnt sich noch immer nach mir und ich mich nach ihm, und die arme Elvira sehnt sich nach einem freien Leben, sie ist doch noch so jung, bei der Verlobung war sie gerade vierzehn geworden.“
„Und du bist darauf ins Kloster eingetreten.“
Sie nickte traurig: „Noch wenige Tage vor dieser Verlobung. Als Fräulein kann man nur Ehefrau oder Nonne werden, und da ich niemand anderen heiraten wollte, blieb mir nur diese
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