Die Hexenmeister
es mit zitternden Händen entgegen, ließ es auf der Handfläche liegen und mußte mehrmals schlucken, bevor sie einen Ton sagen konnte. »Es ist einmalig, es ist perfekt, und es hat etwas an sich, das ich nie zuvor gespürt habe.«
Da sie mich bei den letzten Worten anschaute, wollte sie auch von mir eine Antwort bekommen. »Es kann schon sein, daß dem so ist. In der Tat, ich muß Ihnen sagen, daß es wirklich einmalig ist.«
»Und woher stammt es, bitte?«
Ich wiegte den Kopf. »Das ist eine sehr lange Geschichte, Ehrwürdige Mutter. Würden Sie mir denn glauben, wenn ich Ihnen sage, daß es der Prophet Hesekiel erschaffen hat?«
Zuerst blickte sie mich ungläubig an, dann aber nickte sie heftig. »Ja, ich würde es Ihnen glauben. Sie haben Augen, Signore Sinclair, denen man trauen kann.«
»Danke.«
Sie gab mir das Kreuz wieder zurück und beobachtete mich dabei, wie ich die Kette über den Kopf streifte und meinen Talisman unter der Kleidung verschwinden ließ. »Aber jetzt würde uns wohl interessieren, wer Ihnen von unserem Kommen berichtet hat?«
»Sie müßten die Person kennen.«
»Maria?« fragte Testi.
»Ja, sie war es.«
Romano stand auf und setzte sich wieder. »Dann ist sie Ihnen auch erschienen?«
»Sogar heute. Ich stand an ihrem Grab, und sie schwebte als Geist darüber. Es war für mich gespenstisch, aber durchaus wunderbar und faszinierend. Sie wußte Bescheid, daß Sie hier eintreffen, und sie hat mich auch vor den Gefahren der nächsten Nacht gewarnt.«
»Wurde sie konkret?« fragte Testi.
Die Äbtissin nickte. »Sie sprach vom Hexenmeister, vom Tod mit dem Namen Valentin. Ich weiß, daß er kommen wird, daß er vielleicht schon da ist, daß er es nicht hinnehmen kann, daß Maria den Tod überwunden hat. Die absolute Macht des Bösen muß ihn geschickt haben, damit er in ihrem Sinne handelt. Maria kann ihn nicht mehr überwinden, es ist vorbei, ihre Kräfte sind erloschen. Jetzt gibt es für sie nur noch eines, und zwar den Tod. Das endgültige Auslöschen. Ihr Körper ist bereits verwest, aber ihr Geist lebt weiter, sogar sichtbar weiter, wie ich es des öfteren erlebt habe.«
Ich nickte. »Da geben wir Ihnen recht, Ehrwürdige Mutter. Aber ich bin nicht mit allem einverstanden, was Sie uns eben gesagt haben.«
»Was stört Sie?«
»Ich glaube einfach nicht daran, daß es der Geist der jungen Nonne Maria ist. Es ist nicht ihr Astralleib, wenn Sie verstehen.«
»Nein…«, sie schüttelte den Kopf. »Ich… ich kann es noch nicht begreifen. Gesetzt den Fall, es ist nicht der Geist. Können Sie mir dann sagen, was ich da gesehen habe.«
»Eine Reinkarnation.« Mehr sagte ich nicht, ich wollte diese Antwort erst wirken lassen.
Die Äbtissin lehnte sich zurück. Das Leder des Sessels knarrte leise.
Es war ein Thema angesprochen worden, das sie nicht so ohne weiteres akzeptieren konnte, weil sie als strenge Katholikin nicht an eine Reinkarnation glaubte, wie es zum Beispiel die Buddhisten taten. Da mußten erst Grenzen überwunden werden.
»Ich habe mich nicht verhört, Signore Sinclair?«
»Nein, das haben Sie nicht.«
»Sie glauben also daran?«
Ich wollte sie nicht schocken und wiegte den Kopf. »Es ist manchmal nicht anders zu erklären. Ich rede jetzt von Erfahrungswerten, die ich in langen Jahren habe sammeln können.«
Die Frau nickte. Sie dachte noch nach, dann kam sie wieder auf die Wiedergeburt zu sprechen. »Wenn ich davon ausgehe, daß Sie recht haben, möchte ich Sie fragen, als was Maria wiedergeboren ist oder wer in ihr wiedergeboren wurde.«
»Ich kann Ihnen die Antwort geben.«
»Bitte.«
»Es war ein Engel!«
Lucia, die Äbtissin, schwieg, klimperte aber mit den Augenlidern. »Ein Engel?« hauchte sie schließlich. »Hat er sich in ihr offenbart?«
»Ja, in ihrem Geist, vielleicht in ihrem Astralleib, der von einem Engel übernommen wurde.«
»Aber von welchem?«
Ich legte meine Stirn in Falten. »Ist es nicht so, daß jeder Mensch einen Schutzengel hat?«
»Das sagt man.«
»Gut, deshalb gehe ich davon aus, daß wir es hier mit Marias Schutzengel zu tun haben, der dasselbe Aussehen besitzt wie sie. Deshalb hat sie den Tod überwinden können. Sie hat auch andere Menschen dank ihrer Kraft gerettet. Es ist alles abgelaufen wie ein Wunder. Das auf der einen Seite. Die andere aber, die dunkle, wird es kaum hinnehmen können, daß ein Schutzengel gewisse Gesetze einfach auf den Kopf stellt oder sie über Bord wirft. Sie wird sich immer dagegen wehren,
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