Die Hexenmeister
internen Dinge in die Hand nahm.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und verschwand durch dieselbe Tür, durch die sie vorhin gekommen war.
Wir blieben zurück, schweigend, dann seufzte Testi und strich über seinen Oberlippenbart. »Ich komme mir allmählich vor wie jemand, der sich im Kreis bewegt und nur darauf wartet, daß er an irgendeiner Stelle eingerissen wird.«
»Ein guter Vergleich«, gab ich zu.
»Reißt du ihn denn auf?«
Ich hob die Schultern. »Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Ich werde es zumindest versuchen, brauche aber eine Waffe dazu, wenn du verstehst.«
»Dein Kreuz müßte es packen, John. Hast du mir nicht davon berichtet, daß die vier Erzengel ihre Insignien an den Seiten hinterlassen haben? Das ist doch schon was. Damit kann man diesem Hexenmeister doch entgegentreten.«
Ich stand auf und wanderte zu einem Fenster. Draußen war die Sonne verschwunden, die ersten Schatten der anbrechenden Dämmerung legten sich über das Land.
Es war schwer, auch ich spürte die Bedrückung, die über allem lag. Was hier passierte, war ein Aufeinandertreffen zwischen Gut und Böse, das rüttelte an den Grundfesten zwischen Tod und Leben.
Geburt, Tod – Engel und Dämonen, es war ewiger Kreislauf, der uns alle mitriß.
»Die Nacht bringt es, John!« hörte ich die Stimme meines italienischen Kollegen. »Nur frage ich mich, ob man warten soll, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist?«
»Dann mußt du es vorher retten.«
»Da hast du auch recht. Aber wie?«
Ich konnte ihm keine Antwort geben. Wir bewegten uns auf einem fremden Gelände. Hier herrschten andere Gesetze. Wir konnten sie nicht einfach übertreten, wir mußten warten, bis sich die andere Seite zeigte und etwas unternahm.
Von einer dunklen Wolke, die sich als Sinnbild des Bösen über dem Kloster zusammenbraute, hatte Solara gesprochen. Ich schaute zum Himmel und beobachtete die dunklen Wolken, die im Wind trieben.
Schlug das Wetter um? Sah es nach Regen aus?
»Vielleicht müssen wir das Kloster und auch das Gelände sehr genau durchsuchen«, schlug Testi vor.
Ich drehte mich wieder um. »Es wäre eine Möglichkeit.«
»Verstecke gibt es hier bestimmt, auch für einen Hexenmeister und für einen Engel.« Er senkte den Kopf und schüttelte ihn. »Wenn ich gewußt hätte, wie dies hier…«
Wieder wurde die Tür geöffnet. Diesmal schneller, fast schon hektisch.
Als die Äbtissin die Schwelle überschritt, da taumelte sie und schien mit ihren Nerven am Ende zu sein. Ich lief hin, um sie zu stützen. Rasselnd drang ihr Atem aus dem Mund.
Testi reichte ihr ein Glas Wasser.
Sie trank es mit hastigen Schlucken. Etwas Farbe kehrte wieder in ihr Gesicht zurück, doch ihre Augen hatten noch immer den starren Blick und stierten ins Leere.
»Was ist denn passiert?« flüsterte ich.
»Solara, Signore Sinclair, mein Gott, sie ist…« Der Schreck jagte durch meine Glieder. »Doch nicht etwa tot?«
»Nein, aber sie ist verschwunden. Und niemand konnte mir sagen, wohin sie gegangen ist…«
***
Solara kauerte noch immer in der Ecke. Sie hörte sich selbst keuchen und weinen. Tränen liefen über ihr Gesicht, und immer wieder zuckten ihre Lippen, ohne daß sie auch nur ein Wort hervorbrachte. Der Druck lag auf ihrem Körper wie eine gewaltige Masse. Ihre Augen brannten, und durch ihren Kopf tobten die schlimmsten Gedanken, die sie aber nie kontrollieren konnte.
Alles war so schrecklich. Sie wäre am liebsten eins mit dem Steinboden ihres Zimmers geworden.
Sie zitterte. Es war die innere Kälte, die in ihr hochkam und sich beinahe um ihre Kehle drehte, als sollte sie davon erwürgt werden. Ihr war übel, und manchmal nahm sie einen ätzenden Geruch wahr, der an ihren Nasenlöchern entlangzog. Er stammte von den Resten, die einmal ein Kreuz gewesen waren.
Es war ohne sichtbare Fremdeinwirkung vor ihren Augen entflammt.
Allein diese Tatsache hatte ihr zu verstehen gegeben, daß sie nicht mehr allein war und der Feind im Hintergrund unsichtbar lauerte.
Das Kichern, die Stimme, die Flammen…
Eigentlich reichte das aus, um dafür zu sorgen, daß sie ihre Zelle verließ.
Dies wiederum traute sich Solara nicht. Sie blieb hocken, denn sie fürchtete sich davor, die Tür zu öffnen, weil sie dahinter den Eingang zur Hölle erwartete und nicht den normalen Klostergang. Es war nicht mehr so wie früher, alles hatte sich verändert, zwar nicht äußerlich, doch in ihrem Innern, in ihrer Seele, da sah es nicht so aus wie
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