Die Hexensekte!
Schmerzensschrei ausstieß.
„Du tust mir weh!“
„Ich werde dir noch mehr wehtun, wenn du mir nicht gleich sagst wo der Hannes ist!“ drohte Toni.
Sophies Empörung wandelte sich in ansteigende Furcht. Sie sah den Hass in den Augen der Männer und bemühte sich, ihn zu verstehen. Sein bester Freund war verschwunden. Wahrscheinlich hatten sie seit Stunden im Gasthaus gesessen und Bier getrunken.
Die jungen Männer wussten doch, wen sie vor sich hatten!
Wie konnten sie ihr unterstellen, eine Hexe zu sein?
„Ihr habt den Verstand verloren“, murmelte sie.
Sie wandte sich an Florian, an den Jungen, der das Gewehr über der Schulter trug. Sie hatte neben ihm auf der Schulbank gesessen. Sie hatte mit ihm in langen Spaziergängen die Wälder um Jenbach durchstreift. Er war der Erste gewesen, dem sie den ersten Kuss erlaubt hatte.
„Florian!“ stieß sie hervor. „Nun sag doch du etwas. Du bist doch mein Freund ...“
„Dein Freund!“ fiel der junge Mann ihr verächtlich ins Wort. „Freunde lässt man nicht im Stich. Du hast es getan.“
Sophie schloss die Augen. Immer wieder das alte Lied!
Die Menschen von Jenbach hatten kein Verständnis für diejenigen, die den Ort verließen, um in die Fremde zu ziehen. Besonders in das ferne Wien! Für die Einwohner war ein solches Verhalten schlimmer als Fahnenflucht.
Sophie hatte ihr gesamtes Leben hier gewohnt, sie wusste woher diese Haltung kam.
Die Menschen der beiden Gemeinden fühlten sich bedroht und verfolgt von dunklen, geheimnisvollen Mächten. Sie kämpften seit Jahrhunderten gegen diese eingebildeten Feinde und erwarteten von jedem, der in dieser Gemeinde geboren wurde, dass er sich an diesem Kampf beteiligte.
Sophie hatte diese Ideen schon immer für borniert gehalten. Um ihnen zu entkommen, war sie nach Wien gezogen. Der Besuch der jungen Männer zeigte, dass man ihr das nicht verziehen hatte.
„Lass mich los“, keuchte Sophie und versuchte sich aus dem festen Griff von Toni zu befreien. Aber das war, als bemühte sie sich darum, eine Stahlkette zu sprengen. Es ging einfach nicht.
„Wenn du mich nicht loslässt, rufe ich meinen Vater“, drohte Sophie.
„Deinen Vater! Den hast du doch auch im Stich gelassen“, sagte Toni verächtlich.
Die Augen von Sophie weiteten sich.
„Was sagst du da?“ murmelte sie.
„Du hast mich schon verstanden. Du hast ihn auf dem Gewissen. Als du Stans verlassen hast um nach Wien zu gehen, hast du ihn gebrochen. Aus einem starken, gesunden Mann wurde ein Schwächling. Dein Fortgang hat ihn fertig gemacht, dein gewissenloses Handeln hat ihn vernichtet.“
Sophie schluckte fassungslos. Was Toni sagte, konnte er doch selbst nicht glauben.
„Wie kannst du nur solchen Unsinn reden?“ konterte Sophie. „Mein Vater liebt mich. Er wusste, dass ich genau das Richtige getan habe. In diesem Dorf sind doch die Meisten verrückt! Ihr seid krank, Opfer eines stupiden Hassdenkens ...“
Die linke Faust von Toni zuckte vor und klatschte mitten in ihr Gesicht.
Das Mädchen blinzelte. Der Schmerz und die Überraschung machten sie stumm. Sie begriff, dass sie in Gefahr schwebte. In tödlicher Gefahr.
Die jungen Männer schreckten in ihrem Wahn vor nichts zurück.
Toni umfasste sie hart und zerrte sie vom Haus weg auf die Straße. Sophie wehrte sich heftig, gab ihren Widerstand aber nach wenigen Schritten auf. Sie war den Männern nicht gewachsen, sie konnte nur hoffen, dass deren Gewissen erwachen und sie vor dem Schlimmsten bewahren würde.
Sie erwog flüchtig um Hilfe zu schreien, blieb dann aber stumm. Sie kannte die Menschen ihrer Nachbarschaft und wusste, dass kaum jemand den Mut aufbringen würde, gegen Toni und dessen Freunde Stellung zu beziehen.
Die jungen Männer nahmen sie in die Mitte, bogen von der Straße ab und wählten den schmalen Waldweg, der in Richtung Wolfsklamm führte.
Eine halbe Stunde später erreichten sie eine Lichtung. Hier waren angeblich im Mittelalter Hexen verbrannt worden.
Einer der jungen Männer löste sich von der Gruppe und verschwand im Dunkel des Waldes.
Sophie zitterte. Ihr lagen tausend Fragen auf der Zunge, aber sie war zu müde und verzweifelt, um sie zu stellen.
Ein Feuer flackerte auf. In seinem Schein war ein großer Holzstapel zu erkennen. Ein Scheiterhaufen.
Sophie verspürte, wie sie erstarrte.
„Was habt vor?“ flüsterte sie.
„Dreimal darfst du raten“, höhnte Toni.
Sophie schüttelte den Kopf. Nein, das durfte nicht wahr sein.
Es konnte sich nur
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