Die Himmelsbraut
machte auf dem Absatz kehrt. Er wirkte nicht gerade erfreut über diese Störung. «Was gibt’s, Schwester?»
«Ich – ich mache mir große Sorgen um Schwester Maria Magdalena. Ich bin ihre jüngere Schwester, ich kenne sie von klein auf, und ich glaube …»
«Seid ihr nicht alle Schwestern in Christo?», unterbrach er sie fast vorwurfsvoll. «Nun denn, sei’s drum. Was hast du auf dem Herzen?»
«Es geht ihr nicht gut, Hochwürden. Sie ist vollkommen entkräftet, nur daher rühren ihre Zustände. Ich flehe Euch an, sucht das Gespräch mit ihr. Sie muss das Fasten und ihre Selbstzucht aufgeben, sonst wird die Sache ein böses Ende nehmen.»
Pfarrer Bonifaz zog die Augenbrauen in die Höhe. «Du wagst es also, an der göttlichen Offenbarung zu zweifeln? Versündige dich nicht, mein Kind! Oder ist es gar der Neid, der dir solch blasphemische Worte in den Mund legt? Du kannst dem Herrgott danken, wenn ich diese Unterredung nicht deiner Priorin weitergebe.»
Damit ließ er sie stehen. Antonia starrte ihm hinterher. Erst später merkte sie, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
34 Waldshut, Ende September 1524
D ie abgestandene Luft unter der niedrigen Eichenholzdecke stank nach Schweiß, Bier und gebratenen Würsten. Man musste schreien, um sein eigenes Wort zu verstehen, so überfüllt war die Schankstube. Phillip und Egbert saßen eng beieinander auf einer Bank nahe der Theke. Hin und wieder tauchte über den Köpfen ihrer Zechkumpane das hübsche Gesicht des Schankmädchens auf, und wenn Phillip Glück hatte, kreuzten sich ihre Blicke, und Marie schenkte ihm ein Lächeln.
Seit einer Woche waren sie hier in Waldshut. Es war Egberts Einfall gewesen herzukommen, nachdem es in Freiburg tatsächlich immer öder geworden war, ganz wie es der junge Schiller von Herdern prophezeit hatte. In den ersten Sommerwochen hatten sie sich noch die Zeit mit Ausritten in die Umgebung vertrieben, hatten verbotenerweise gejagt oder gefischt und versucht, bei den Bürgersmädchen anzubandeln. Doch bald schon konnten ihre Unternehmungen ihnen nicht mehr über ihre Langeweile hinweghelfen. Vor allem Phillip plagte die Tatsache, dass er nichts zu tun hatte – sein Vorhaben, zu lernen, hatte er nämlich aufgeben müssen. Weder kam er an die erforderlichen Bücher noch an die Lehrkräfte heran, die die Fächer des Quadriviums unterrichteten. Denn neben den Studenten hatten auch die meisten Gelehrten Freiburg zu Beginn der Sommerferien verlassen. Von vielen hieß es, sie würden nicht an die Albertina zurückkehren. Als dann schließlich sogar ihre angestammten Schenken in Ermangelung von Kundschaft die Pforten schlossen, hatte Egbert ihn überredet, ihn an den Hochrhein nach Waldshut zu begleiten. Er wolle aus erster Hand erfahren, was es mit diesem Stühlinger Haufen und seinen Forderungen auf sich habe. Vor allem wie es der gemeine Bauersmann geschafft habe, mit den Waldshuter Bürgern ein Schutzbündnis zu gründen, eine evangelische Bruderschaft. Und wie das gehen solle, wo doch Waldshut gerade so vorderösterreichisch und damit erzkatholisch war wie Freiburg.
Sie hatten mit ihren Pferden Quartier in der Posthalterei genommen, mitten in der kleinen Stadt, und schon am ersten Abend erfahren, was sie wissen wollten, da man auf den Gassen und in den Schankstuben ohnehin über nichts anderes sprach. Warum die Waldshuter sich mit den Bauern gemein machten, war rasch geklärt. Es hing mit Balthasar Hubmaier zusammen, dem gelehrten Waldshuter Stadtpfarrer und zugleich glühenden Verfechter der neuen Lehre, der von den Bürgern hoch verehrt wurde. Als Weggenossen sah er allerdings nicht Martin Luther, sondern Zwingli, den weit bekannten Schweizer Reformator. Mit Zwinglis Unterstützung hatte Hubmaier die evangelische Bewegung in die Stadt gebracht und fortan das reine Evangelium gepredigt. Da hatten die österreichischen Behörden die Auslieferung Hubmaiers an den Bischof von Konstanz gefordert, was der Waldshuter Magistrat verweigert hatte. Stattdessen hatte dieser sich zu Pfingsten des Jahres für den neuen Glauben ausgesprochen. Pfarrer Hubmaier war es auch zu verdanken, dass der Rat für die Sache der Stühlinger Bauern eingetreten war und mit ihnen nun jene evangelische Brüderschaft gestiftet hatte, der Bauern wie Bürger angehörten.
Zu gern hätte Phillip diesen unerschrockenen Prädikanten kennengelernt und einen Gottesdienst bei ihm miterlebt. Doch Hubmaier weilte noch immer in der benachbarten Schweiz, wohin er vor
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